Verwaltungsvorschrift
des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz
und für Demokratie, Europa und Gleichstellung
zum Vollzug in freien Formen
(VwV Vollzug in freien Formen)
Vom 25. August 2021
I.
Aufgabe
- 1.
- Der Vollzug der Jugendstrafe kann gemäß § 13 Absatz 3 des Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetzes vom 12. Dezember 2007 (SächsGVBI. S. 558), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22. August 2019 (SächsGVBl. S. 663) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, bei geeigneten Jugendstrafgefangenen nach Maßgabe der nachstehenden Vorschriften in freien Formen durchgeführt werden. Darüber hinaus kann der Vollzug der Freiheitsstrafe gemäß § 15 Absatz 4 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes vom 16. Mai 2013, das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. August 2019 (SächsGVBl. S. 663) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, bei geeigneten Strafgefangenen nach Maßgabe der nachstehenden Vorschriften in freien Formen durchgeführt werden.
- 2.
- Der Vollzug in freien Formen ermöglicht eine weitergehende Umsetzung des Angleichungs- und Gegensteuerungsgrundsatzes als in einer Jugendstrafvollzugsanstalt oder Justizvollzugsanstalt (Anstalt). Im Jugendstrafvollzug in freien Formen soll der Erziehungsauftrag nach § 3 Absatz 1 des Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetzes durch eine intensive pädagogische Betreuung der Jugendstrafgefangenen erreicht werden. Die Unterbringung von Strafgefangenen im Strafvollzug in freien Formen soll diese bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsdefizite durch intensive sozialtherapeutische Betreuung unterstützen.
- 3.
- Durch die Unterbringung im Jugendstrafvollzug in freien Formen und im Strafvollzug in freien Formen werden die Jugendstrafe und die Freiheitsstrafe vollzogen. Das Vollzugsverhältnis zur Anstalt und bei dem Vollzug der Jugendstrafe die Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters oder der Vollstreckungsleiterin bleiben bestehen.
II.
Einrichtungen
- 1.
- Der Jugendstrafvollzug in freien Formen und der Strafvollzug in freien Formen werden in Einrichtungen außerhalb der Anstalt durchgeführt.
- 2.
- Hierbei sind die Jugendstrafgefangenen getrennt von den Strafgefangenen unterzubringen. Gemeinsame Maßnahmen, insbesondere zur schulischen und beruflichen Qualifizierung, sind zulässig.
- 3.
- Die Einrichtungen unterstehen der Aufsicht des Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung.
- 4.
- In den Einrichtungen gilt eine Hausordnung, die insbesondere Regelungen trifft über die Häufigkeit und Dauer von Telefongesprächen und Besuchen, die Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit sowie das Verlassen der Einrichtung. Die Hausordnung kann für den Fall eines Pflichtenverstoßes für die Jugendstrafgefangenen erzieherische Weisungen und Auflagen sowie beschränkende Anordnungen für die Freizeitbeschäftigung bis zu einer Woche und für die Strafgefangenen im Wege der einvernehmlichen Streitbeilegung getroffene Vereinbarungen vorsehen. Die Hausordnung ist der Aufsichtsbehörde zur Zustimmung vorzulegen.
- 5.
- Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann der Einrichtung die Verwaltung der Gefangenengelder und die Festsetzung einer Leistungszulage übertragen. Bei der Festsetzung der Leistungszulage wird die Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels und bei den Jugendstrafgefangenen auch des Erziehungsauftrags berücksichtigt.
III.
Eignungsprüfung
- 1.
- Jugendstrafgefangene können im Jugendstrafvollzug in freien Formen untergebracht werden, wenn
- a)
- sie dessen besonderen Anforderungen genügen, insbesondere verantwortet werden kann zu erproben, dass sie sich dem Vollzug nicht entziehen oder die Möglichkeiten des Vollzuges in freien Formen nicht zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden,
- b)
- die Gefangenen der Unterbringung in der Einrichtung und ihrer Hausordnung zugestimmt haben sowie
- c)
- die Vollstreckungsleiterin oder der Vollstreckungsleiter angehört wurde.
- 2.
- Strafgefangene können im Strafvollzug in freien Formen untergebracht werden, wenn
- a)
- sie dessen besonderen Anforderungen genügen, insbesondere nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeiten des Vollzuges in freien Formen zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden und
- b)
- die Gefangenen der Unterbringung in der Einrichtung und ihrer Hausordnung zugestimmt haben.
- 3.
- In der Regel ist das Entziehen aus dem Vollzug in freien Formen zu befürchten bei Gefangenen,
- a)
- die während des laufenden Freiheitsentzugs entwichen sind, eine Flucht versucht haben, einen Ausbruch unternommen haben oder aus einer Lockerung nicht freiwillig zurückgekehrt sind,
- b)
- gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren anhängig ist oder
- c)
- gegen die ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungs- oder gerichtliches Strafverfahren wegen eines Verbrechens anhängig ist.
- 4.
- Bei Gefangenen, bei denen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass sie während des laufenden Freiheitsentzuges eine strafbare Handlung begangen haben, ist in der Regel zu befürchten, dass sie die Möglichkeiten des Vollzugs in freien Formen zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden.
- 5.
- Ausnahmen können in den Fällen der Nummer 3 und 4 zugelassen werden, wenn besondere Gründe vorliegen. Diese sind aktenkundig zu machen. Die Anstalt hat in den Fällen der Nummer 3 Buchstabe b vorab die zuständige Ausländerbehörde und in den Fällen Nummer 3 Buchstabe c die Vollstreckungsbehörde anzuhören.
IV.
Entscheidung über die Unterbringung
- 1.
- Die Eignung der Gefangenen für die Unterbringung im Vollzug in freien Formen wird insbesondere auf der Grundlage des Diagnoseverfahrens nach § 10 des Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetzes und § 7 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes sowie ihres bisherigen Verhaltens und ihrer Entwicklung im Vollzug festgestellt. Hierbei sind insbesondere individuelle Risikofaktoren für eine Flucht oder einen Missbrauch der Unterbringung im Vollzug in freien Formen zu berücksichtigen.
- 2.
- Gefangene, gegen die Untersuchungs-, Abschiebungs- oder Auslieferungshaft angeordnet ist, werden nicht im Vollzug in freien Formen untergebracht.
- 3.
- Nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde im Vollzug in freien Formen untergebracht werden können Gefangene, gegen die
- a)
- während des laufenden Freiheitsentzugs eine lebenslange Freiheitsstrafe vollzogen wird,
- b)
- eine Strafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, die gemäß § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes von einer Strafkammer oder gemäß § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes von einem Oberlandesgericht im ersten Rechtszug verhängt worden ist,
- c)
- eine vollziehbare Ausweisungsverfügung für den Geltungsbereich des Grundgesetzes oder eine sonstige Ausreisepflicht besteht oder
- d)
- eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine sonstige Unterbringung gerichtlich angeordnet und noch nicht vollzogen ist. In den Fällen des Satzes 1 Buchstabe c hat die Anstalt vorab die zuständige Ausländerbehörde anzuhören. Sofern in den Fällen des Satzes 1 Buchstabe d die Maßregel der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten ist, hat die Anstalt vorab die zuständige Strafvollstreckungskammer anzuhören.
- 4.
- Die Entscheidung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters über die Unterbringung im Vollzug in freien Formen wird durch eine Konferenz nach § 11 Absatz 5 Satz 1 des Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetzes oder § 8 Absatz 6 Satz 1 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes vorbereitet. Die Leitung der Einrichtung ist anzuhören.
V.
Beendigung der Unterbringung
Bei Straftaten, unerlaubtem Entfernen aus der Einrichtung, verspäteter Rückkehr, Nichtrückkehr sowie bei erheblichen Verstößen gegen die Hausordnung der Einrichtung kann die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter die Unterbringung im Vollzug in freien Formen beenden. Vor der Entscheidung ist die Leitung der jeweiligen Einrichtung zu beteiligen, es sei denn, eine sofortige Entscheidung ist geboten. Die Leitung der Einrichtung unterrichtet die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter unverzüglich über Vorkommnisse nach Satz 1. Für den Fall der Beendigung des Vollzugs in freien Formen werden die Gefangenen in die für sie zuständige Anstalt zurückverlegt.
VI.
Nachgehende Betreuung
Um eine nachgehende Betreuung zu gewährleisten, können die Jugendstrafgefangenen entsprechend § 22 des Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetzes und die Strafgefangenen entsprechend § 45 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes auch nach ihrer Haftentlassung in der Einrichtung verbleiben.
VII.
Inkrafttreten und Außerkrafttreten
Diese Verwaltungsvorschrift tritt mit der Unterzeichnung in Kraft. Gleichzeitig tritt die VwV Jugendstrafvollzug in freien Formen vom 14. September 2011 (SächsJMBl. S. 96), die durch die Verwaltungsvorschrift vom 30. August 2012 (SächsABl. S. 1127) geändert worden ist, zuletzt enthalten in der Verwaltungsvorschrift vom 6. Dezember 2019 (SächsABl. SDr. S. S 374), außer Kraft.
Dresden, den 25. August 2021
Die Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung
Katja Meier