1. Navigation
  2. Inhalt
REVOSax - Recht und Vorschriftenverwaltung Sachsen

Die Sächsische Konzeption zur Integration von Migranten

Vollzitat: Die Sächsische Konzeption zur Integration von Migranten vom 1. August 2000 (MBl. SMK S. 149), zuletzt enthalten in der Verwaltungsvorschrift vom 11. Dezember 2017 (SächsABl. SDr. S. S 409)

Die sächsische Konzeption zur Integration von Migranten

Az.: 22-6512.10/447

Die Konzeption tritt am 1. August 2000 in Kraft.

„Der Erziehungs- und Bildungsauftrag wird bestimmt durch das Recht eines jeden jungen Menschen auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bildung ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage“, so wird das Schulgesetz für den Freistaat Sachsen von 1991 eingeleitet. Aus dieser Bestimmung folgt, dass für die Kinder von Zuwanderern, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, „ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage“ die gleichen Chancen zur Wahrnehmung von Bildungsmöglichkeiten zu gewährleisten sind wie für alle anderen Schüler. Das ist in einer Zeit anhaltender Migration nach Europa und in Europa als allgemeines interkulturelles Entwicklungsziel in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz von 1996 beschrieben.

Die Schule muss für die Kinder von Zuwanderern aller Altersstufen und aller Herkünfte Einstiegsmöglichkeiten in das Bildungssystem schaffen, die vorausgegangene Bildung nicht entwerten, sondern fortführen und die künftige Bildung nicht einschränken, sondern „den Fähigkeiten und Neigungen entsprechend“ in vollem Maße ermöglichen.

Kinder und Jugendliche verschiedener Nationalitäten besuchen sächsische Schulen. Sie sind durch unterschiedliche Kultur- und Lebenserfahrungen geprägt und müssen sich in einer ungewohnten Umwelt und Kultur orientieren, die nicht zuletzt durch die Schule repräsentiert wird. Das trifft vor allem auf Kinder und Jugendliche neu einwandernder Familien zu, in unterschiedlicher Ausprägung aber auch auf Kinder von seit längerem in Deutschland lebenden Migranten, die an deutschen Schulen eingeschult werden. Für alle Kinder und Jugendlichen soll der Schulbesuch in Sachsen Bildungsgelegenheiten bieten und Schullaufbahnmöglichkeiten offen halten.

Die sächsische Konzeption zur Integration von Migranten ist deshalb geprägt durch die Gleichwertigkeit der unterrichtlichen und sozialen Komponente. Integration bedeutet Teilnahme am politischen, sozialen und kulturellen Leben außerhalb der Schule ebenso wie am regulären Bildungsangebot innerhalb der Schule. Daraus ergeben sich vielfältige Anforderungen an die zuständigen Behörden und die Lehrer sächsischer Schulen sowohl in fachlicher Hinsicht, d. h. im Hinblick auf ihre allgemeinen Lehr- und Unterrichtsfähigkeiten, als auch im psycho-sozialen Bereich. Es liegt mit bei ihnen, wie die Kinder und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien Deutschland als Heimat annehmen können und sich bei den deutschen Schülern pluralistisches Verständnis entwickelt. Die Schullaufbahnberatung durch Vertreter der Schulaufsicht, die Benennung von Betreuungslehrern, die Einrichtung von Vorbereitungsklassen und besonderen Fördermaßnahmen zum Erlernen der deutschen Sprache, das Angebot von muttersprachlichem Unterricht und die Möglichkeit, die Sprache des Herkunftslandes an Stelle einer Fremdsprache anzuerkennen, dienen diesem Ziel.

Die Gliederung des Integrationsprozesses in Etappen

Die genannten Maßnahmen tragen insgesamt zum Gelingen des Integrationsprozesses – schulisch wie sozial, bei zugewanderten wie bei einheimischen Schülern – bei. Von zentraler Bedeutung sind dabei der Gebrauch der deutschen Sprache und die Teilnahme am Regelunterricht Sie bedürfen einer besonders sorgfältigen pädagogischen Planung. Im Bestreben, die sprachliche Vorbereitung, die in besonderen Fördermaßnahmen geleistet werden muss, und die Teilnahme am regulären Bildungsangebot, die sich nur in der Regelklasse vollziehen kann, in ein zielgerechtes Verhältnis zueinander zu bringen, konzipiert der Lehrplan Deutsch als Zweitsprache einen schrittweisen Übergang, der sich in drei Etappen gliedert. Diese Etappen werden von allen neu zugewanderten Schülern, bei Bedarf auch von Schülern aus Migrantenfamilien, die schon längere Zeit in Deutschland leben, durchlaufen. zeitlich und inhaltlich variiert dieser Prozess in Abhängigkeit von den Vorkenntnissen, dem Bildungsweg und den Persönlichkeitsmerkmalen der Schüler in erheblichem Maße.

Jugendliche Migranten und junge Erwachsene werden in speziellen Vorbereitungsklassen (Vorbereitungsklassen mit berufspraktischen Aspekten) auf die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung ggf. auch die Erlangung eines Schulabschlusses vorbereitet. In diesen Klassen wird das Fach Deutsch als Zweitsprache zielgruppenorientiert unterrichtet, und die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nehmen zwei Monate am fachtheoretischen und fachpraktischen Unterricht an Beruflichen Schulzentren entsprechend dem individuellen künftigen Ausbildungsbereich teil. Die Integration in 3 Etappen wird hier nur in begründeten Ausnahmefällen vollzogen.

Erste Etappe

In der ersten Etappe soll die sprachliche Grundlage für die Fähigkeit zur Teilnahme am Regelunterricht und am sozialen Leben der unmittelbaren Umwelt gelegt werden. Um dieses Ziel so rasch wie möglich zu erreichen, werden Vorbereitungsklassen/gruppen zum Erlernen des Deutschen als Zweitsprache gebildet, in denen zunächst elementare Deutschkenntnisse vermittelt werden, die zum Kennenlernen der Schule und Umgebung erforderlich sind. Jeder Schüler erhält Gelegenheit, sich einzuleben, und der Betreuungslehrer erhält die Möglichkeit, Lebenssituation, Persönlichkeit und Sprachstand der Schüler kennen zu lernen. Auf der Grundlage dieser beidseitigen Kenntnis der Situation soll im Verlauf der ersten Etappe entschieden werden, in welcher Klasse und in welchen Fächern der Schüler beginnen soll, am Regelunterricht teilzunehmen. Diese Teilnahme soll so früh wie möglich einsetzen.

In der Grundschule beginnt die Teilnahme am Regelunterricht nach etwa 4 bis 6 Wochen Unterricht in der Vorbereitungsklasse, spätestens nach 8 Wochen. In der Mittelschule und im Gymnasium beginnt sie nach etwa 6 bis 8 Wochen, spätestens nach 10 Wochen. Bei Schülern, die bereits gewisse Deutschkenntnisse mitbringen (aus einer Minderheitensprachsituation oder aus einem Fremdsprachenunterricht im Herkunftsland) soll diese zeitliche Vorgabe deutlich unterschritten werden.

Der geeignete Zeitpunkt für den Beginn der Teilnahme am Regelunterriebt und das Fach oder die Fächer, die dafür vorzusehen sind, werden von den beteiligten Lehrkräften im Rahmen ihrer pädagogischen Verantwortung festgelegt. Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass der im Deutschen erreichte Sprachstand ebenso eine Rolle spielt wie die Persönlichkeit, die soziale Integration, die fachlichen Kenntnisse, die persönlichen Interessen, die Fähigkeiten, Neigungen und Wünsche des Schülers. In vielen Fällen hat sich das Fach Sport als ein guter Anfang erwiesen, da hier eine Integration auch ohne differenzierte Deutschkenntnisse am leichtesten möglich ist. Danach kommen etwa die Fächer Kunsterziehung, Werken, Musik und Mathematik in Betracht, die bereits stärker sprachbetont sind. Es kann aber auch sinnvoll sein, die Integration mit ganz anderen Fächern zu beginnen (z. B. bei Schülern mit Englischkenntnissen eine frühe Teilnahme am Englischunterricht).

Zweite Etappe

Während der zweiten Etappe wird in enger Zusammenarbeit zwischen Betreuungslehrer, Klassenlehrer, Fachlehrern und Eltern für jeden Schüler festgelegt, wie die weitere Integration bis zum endgültigen Übergang in die Regelklasse erfolgt, d. h. welche Fächer in welcher Reihenfolge besucht werden und wie lange die Vorbereitungsklasse bzw. -gruppe besucht werden muss.

In der Grundschule dauert die zweite Etappe in der Regel 6 bis 8 Monate, längstens 10 Monate. In der Mittelschule und im Gymnasium dauert sie 9 bis 12 Monate, längstens 18 Monate. Eine Unterschreitung dieser zeitlichen Vorgaben ist möglich. Bei den Entscheidungen über die Dauer werden die Lernfortschritte des Schülers ebenso berücksichtigt wie seine persönliche und soziale Entwicklung und die Perspektiven seiner Schullaufbahn. So kann z. B. in bestimmten Fällen eine Überschreitung der Frist von 12 Monaten in der zweiten Etappe sinnvoll sein, um das Erreichen des Realschulabschlusses in der Mittelschule oder einen gymnasialen Bildungsweg zu ermöglichen.

Bei den Entscheidungen über die Wahl der Fächer empfiehlt es sich, eine Reihenfolge von weniger sprachbetonten hin zu stärker sprachbetonten Fächern zu planen, doch sind auch in der zweiten Etappe die Kenntnisse, Fähigkeiten und Neigungen der Schüler als Entscheidungskriterien einzubeziehen. Das Erlernen des Deutschen als Zweitsprache wird in der Vorbereitungsklasse/-gruppe fortgesetzt, ändert aber seinen Charakter. Es werden die Deutschkenntnisse vermittelt, die zur sozialen, in zunehmendem Maße aber zur schulischen Integration hinführen. Da gleichzeitig die schulische und die außerschulische Realkommunikation zunehmen, ist in der zweiten Etappe vor allem auch die Sprachaufmerksamkeit der Schüler so zu stärken, dass sie in die Lage versetzt werden, zielsprachliche Ausdrücke und Ausdrucksweisen aus der Realkommunikation zu entnehmen und sie ggf. im Unterricht des Deutschen als Zweitsprache zu thematisieren. Für den Lehrer des Deutschen als Zweitsprache bedeutet dies die Notwendigkeit, sich durch wiederholte Sprachstandsdiagnosen ein Bild davon zu verschaffen, welche Fortschritte die Schüler in der deutschen Sprache machen, um darauf die Ziele seines Sprachunterrichts und die weiteren Entscheidungen über den Integrationsprozess einzustellen.

Von wesentlicher Bedeutung ist in der zweiten Etappe die Kooperation des Betreuungslehrers mit den Klassen- und Fachlehrern des Regelunterrichts. Dabei geht es nicht nur um organisatorische Absprachen, sondern vor allem um pädagogische Fragen, darunter die gegenseitige Information über Sprachstand und Sprachentwicklung der Schüler und Vereinbarungen über die Arbeitsteilung bei der sprachlichen Förderung. Der Betreuungslehrer bereitet die Schüler auf die sprachlichen Anforderungen des Fachunterrichts vor, der Fachlehrer holt sie dort ab, wo sie sprachlich stehen und leistet im Rahmen des Fachunterrichts auch die spezifische Unterweisung in der Fachsprache.

Dritte Etappe

In der dritten Etappe sind die Schüler voll in die Regelklassen integriert. Den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache nehmen sie weiterhin als ein begleitendes Angebot wahr. Dessen wichtigste, wenn auch nicht einzige Funktion ist in der Zuarbeit zur Bewältigung der sprachlichen Anforderungen des Fachunterrichts zu sehen. Dies verlangt weiterhin eine sorgfältige Abstimmung mit dem Regelunterricht und eine Mitverantwortung der Fachlehrer für die sprachliche Förderung der Schüler.

Eine feste Zeitspanne für diese anhaltende Sprachförderung wird nicht vorgegeben. Das Lernen der Zweitsprache Deutsch mündet in dieser Etappe in eine allgemeine interkulturelle Erweiterung des Unterrichts. Er hat sein Ziel erreicht, wenn die Schüler fähig sind, ohne sprachliche Beeinträchtigung selbst zu lernen und die Erfahrungen ihres Lebens in den gemeinsamen Lernprozess einzubringen.

Marginalspalte

Verweis auf Bundesgesetze

    Fundstelle und systematische Gliederungsnummer

    MBl. SMK 2000 Nr. 8, S. 149
    Fsn-Nr.: 710-V00.5

    Gültigkeitszeitraum

    Fassung gültig ab: 1. August 2000

    Fassung gültig bis: 31. Dezember 2019