Historische Fassung war gültig vom 01.06.1997 bis 31.08.2001

Gemeinsame Verwaltungsvorschrift
des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz,
des Sächsischen Staatsministeriums des Innern und
des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie
über den Täter-Opfer-Ausgleich im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen und Maßnahmen der Jugendgerichtshilfe im Jugendstrafverfahren
(VwV Täter-Opfer-Ausgleich)

Vom 30. April 1997

[berichtigt durch VwV vom 1. Juli 1997 (SächsABl. S. 757)]

I.
Allgemeines

  1. Der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) dient durch den unmittelbaren Ausgleich zwischen Täter und Opfer dem Rechtsfrieden. Die Maßnahmen des TOA sind Alternativen zu den allgemeinen Strafsanktionen; sie sollen einen Beitrag zur Rückfallvermeidung und zur Kriminalpräventation leisten. Sie dienen dem Schutz des Opfers.
  2. Der TOA kann insbesondere in dem unmittelbaren persönlichen Kontakt zwischen Täter und Opfer und einer vom Täter zu leistenden Schadenswiedergutmachung bestehen. Daneben soll er den Täter zur aktiven Auseinandersetzung mit der Tat und ihren Folgen bewegen und ihm gesellschaftliche Normen und Werte bewußtmachen.
  3. Die rechtlichen Grundlagen des TOA sind in Verfahren gegen Erwachsene Beschuldigte § 153a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 153b Abs. 1 StPO, in Verfahren gegen jugendliche und heranwachsende Beschuldigte § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7, § 45 Abs. 2 und 3 JGG.

II.
Persönliche und sachliche Voraussetzungen

  1. Ein TOA wird insbesondere dann durchgeführt, wenn
    1. dem Opfer ein regulierungsbedürftiger materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, wobei Opfer auch eine Organisation oder eine Körperschaft sein kann,
    2. der Beschuldigte und das Opfer zu einem Ausgleich auf freiwilliger Basis bereit sind und die Form der Wiedergutmachung akzeptieren, wobei bei minderjährigen Beschuldigten oder Opfern die Zustimmung des Sorgeberechtigten erforderlich ist und
    3. der Beschuldigte die schädigende Handlung einräumt, wobei ein volles Geständnis nicht erforderlich ist.
  2. Der TOA ist nicht durchzuführen, wenn eine folgenlose Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 1 StPO oder § 45 Abs. 1 JGG in Betracht kommt.
  3. Der TOA darf nicht dazu dienen, unter dem Druck des Ermittlungsverfahrens umstrittene Ansprüche zu regeln.
  4. Vorstrafen oder ein früher durchgeführter TOA schließen eine neue Maßnahme nicht aus.

III.
Anwendungsbereich

  1. Für den TOA kommen leichte bis mittelschwere Straftaten in Betracht, insbesondere:
    1. Hausfriedensbruch (§ 123 StGB),
    2. Beleidigung (§§ 185 bis 187a und 189 StGB),
    3. Körperverletzung (§§ 223, 223a und 230 StGB),
    4. Bedrohung (§ 241 StGB),
    5. Sachbeschädigung (§ 303 StGB),
    6. Diebstahl und Unterschlagung (§§ 242, 246 StGB),
    7. Betrug (§ 263 StGB) und sonstige Vermögensdelikte,
    8. Nötigung (§ 240 StGB) und in besonders gelagerten Fällen Erpressung (§ 253 StGB).
  2. Bei anderen Straftaten ist der TOA nicht ausgeschlossen. Bei Verbrechen soll nur in Ausnahmefällen auf die Durchführung eines TOA hingewirkt werden.

IV.
Verfahren

  1. Mit der Vorbereitung und Durchführung des TOA beauftragt die Staatsanwaltschaft die Vermittlungsstelle. Dies ist bei erwachsenen Beschuldigten der Soziale Dienst der Justiz, bei Jugendlichen oder heranwachsenden Beschuldigten die Jugendgerichtshilfe (JGH) des für den Jugendlichen oder Heranwachsenden zuständigen Jugendamts. Das Jugendamt kann einen anerkannten Träger der freien Jugendhilfe mit der Durchführung beauftragen.
  2. Die Staatsanwaltschaft stellt der Vermittlungsstelle die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung. Belange des Datenschutzes für Opfer, Beschuldigte und etwaige Dritte sind von den beteiligten Stellen zu berücksichtigen.
  3. Halten die Polizei oder die JGH einen TOA für angezeigt, führen sie eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft über dessen Durchführung herbei.
  4. Die Vermittlungsstelle nimmt, gegebenenfalls über den von ihr beauftragten Träger der freien Jugendhilfe, unverzüglich Kontakt mit dem Beschuldigten und dem Opfer auf und klärt deren Bereitschaft zur Durchführung des TOA. Nach Abschluss ihrer Tätigkeit berichtet die Vermittlungsstelle der Staatsanwaltschaft schriftlich über die Ausgleichsbemühungen und deren Ergebnis, insbesondere über den Umfang der Entschädigungsleistung. Die Vermittlungsstelle überwacht die Erfüllung der vereinbarten Leistungen. Bei Verzögerungen, spätestens nach drei Monaten, erhält die Staatsanwaltschaft eine Sachstandsmitteilung.
  5. Scheitert der TOA am fehlenden Ausgleichswillen des Geschädigten, obwohl der Beschuldigte sich ernsthaft um einen solchen Ausgleich bemüht hat, ist zu prüfen, ob gleichwohl eine Verfahrenseinstellung nach § 153b Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46a Nr. 1 StGB oder § 45 Abs. 2 JGG in Betracht kommt.
  6. Ein vom Gericht veranlaßter und erfolgreich durchgeführter TOA soll in der Regel Anlaß zur Zustimmung zu einer Verfahrenseinstellung gemäß § 153a Abs. 2, § 153b Abs. 2 StPO beziehungsweise § 47 Abs. 2 JGG geben.
  7. Mit der Erteilung des Auftrags zur Durchführung des TOA wird das Verfahren gemäß § 153a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO (Zählkarte Nummer 14.3 Sp. 18), § 153b Abs. 1 StPO oder § 45 Abs. 2 JGG (Zählkarte Nummer 16.8 Sp. 28) vorläufig eingestellt. Soweit erforderlich, ist die Zustimmung des Gerichts einzuholen.
  8. Schlägt der TOA fehl, sind die Ermittlungen wiederaufzunehmen. Entsprechend § 5 Abs. 3 der Zählkartenanordnung wird in diesem Fall ohne Neueintragung des Verfahrens eine neue Zählkarte angelegt. Im Js-Register für Strafsachen und Bußgeldsachen der Staatsanwaltschaft werden die Wiederaufnahme der Ermittlungen und das Datum vermerkt.
  9. Unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 des Gesetzes über die Schiedsstellen in den Gemeinden vom 13. September 1990 (GBl. Nr. 61 S. 1527) übergibt der Staatsanwalt die Sache einer gemeindlichen Schiedsstelle.

V.
Inkrafttreten

Diese Verwaltungsvorschrift tritt am 1. Juni 1997 in Kraft.

Dresden, den 17. April 1997

Der Staatsminister der Justiz
Steffen Heitmann

Dresden, den 24. April 1997

Der Staatsminister des Innern
Klaus Hardraht

Dresden, den 30. April 1997

Der Staatsminister
für Soziales, Gesundheit und Familie
Dr. Hans Geisler