Zweites Gesetz
zur Änderung des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes

Vom 28. April 2006

Der Sächsische Landtag hat am 7. April 2006 das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Das Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen (Sächsisches Verfassungsschutzgesetz – SächsVSG) vom 16. Oktober 1992 (SächsGVBl. S. 459), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. April 2004 (SächsGVBl. S. 134), wird wie folgt geändert:

1.
Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:
 
a)
Die Angabe zu § 5 wird wie folgt gefasst: „§ 5 Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel“.
 
b)
Nach der Angabe zu § 5 wird im Ersten Abschnitt folgende Angabe eingefügt: „§ 5a Besondere Befugnisse“.
 
c)
Nach der Angabe zu § 7 wird folgende Angabe eingefügt: „§ 7a Löschung von nach § 5a erhobenen personenbezogenen Daten“.
 
d)
Nach der Angabe zu § 12 wird folgende Angabe eingefügt: „§ 12a Übermittlung von nach § 5a erhobenen personenbezogenen Daten“.
2.
§ 1 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
 
a)
Satz 2 wird gestrichen.
 
b)
Im bisherigen Satz 3 werden die Wörter „Das Landesamt für Verfassungsschutz“ durch das Wort „Es“ ersetzt.
3.
§ 2 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
 
a)
Satz 1 wird wie folgt geändert:
 
 
aa)
In Nummer 4 wird nach dem Wort „Gesetzes“ ein Punkt gesetzt und das Wort „sowie“ gestrichen.
 
 
bb)
Nummer 5 wird gestrichen.
 
b)
In Satz 2 wird die Angabe „Nrn. 1 bis 5“ durch die Angabe „Nr. 1 bis 4“ ersetzt.
4.
§ 3 Abs. 3 wird aufgehoben.
5.
In § 4 Abs. 1 Satz 2 werden nach der Angabe „(SächsGVBl. S. 330)“ die Wörter „, in der jeweils geltenden Fassung“ angefügt.
6.
§ 5 wird wie folgt geändert:
 
a)
Die Überschrift wird wie folgt gefasst: „§ 5 Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel“.
 
b)
Absatz 4 wird wie folgt gefasst: „(4) Die Zulässigkeit von Maßnahmen nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Artikel 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 11. Februar 2005 (BGBl. I S. 239, 241), in der jeweils geltenden Fassung, bleibt unberührt.“
 
c)
Die Absätze 5 bis 11 werden aufgehoben.
7.
Nach § 5 wird im Ersten Abschnitt folgender § 5a eingefügt:
 
„§ 5a
Besondere Befugnisse
 
(1) Der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes und des Artikels 30 der Verfassung des Freistaates Sachsen ist nur zulässig, wenn die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 G 10 vorliegen und der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- oder Vermögenswerte erforderlich ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(2) Die Maßnahme darf sich nur gegen den Betroffenen richten und nur in Wohnungen des Betroffenen durchgeführt werden. In Wohnungen anderer Personen ist die Maßnahme nur zulässig, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sich der Betroffene dort aufhält und die Maßnahme in Wohnungen des Betroffenen allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts führen würde.

(3) Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räume und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. Gespräche oder Handlungen in Betriebs- oder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen.

(4) Die Maßnahme ist unverzüglich abzubrechen, wenn sich während der Überwachung erste Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Im Zweifel ist unverzüglich eine gerichtliche Entscheidung über den Abbruch der Maßnahme und eine Löschung der bisher erhobenen Daten herbeizuführen. Das anordnende Gericht ist über den Verlauf und die Ergebnisse der Maßnahme zu unterrichten. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so hat das Gericht den Abbruch der Maßnahme unverzüglich anzuordnen, sofern das Landesamt für Verfassungsschutz die Maßnahme nicht bereits abgebrochen hat.

(5) Erkenntnisse über Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, dürfen nicht verwertet werden. Soweit ein Verwertungsverbot in Betracht kommt, hat das Landesamt für Verfassungsschutz unverzüglich eine Entscheidung des anordnenden Gerichts über die Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse herbeizuführen.

(6) Die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhobenen Daten sind dergestalt zu kennzeichnen, dass jederzeit erkennbar bleibt, aus welchen Eingriffen sie stammen. Sie dürfen durch das Landesamt für Verfassungsschutz zu keinen anderen Zwecken als der Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen und Tätigkeiten, auf die Absatz 1 Anwendung findet, weiter verarbeitet werden. Eine Übermittlung darf nur unter den Voraussetzungen von § 12a erfolgen.

(7) In den Fällen des § 53 StPO ist eine Maßnahme nach Absatz 1 unzulässig. Ergibt sich während oder nach der Durchführung einer Maßnahme nach Absatz 1, dass ein Fall des § 53 StPO vorliegt, gelten Absatz 4 Satz 1, Absatz 5 Satz 1 und § 7a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 entsprechend. In den Fällen der §§ 52 und 53a StPO dürfen aus einer Maßnahme nach Absatz 1 gewonnene Erkenntnisse nur verwendet werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrunde liegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhalts steht.

(8) Auf Antrag des Landesamtes für Verfassungsschutz trifft die in § 74a Abs. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannte Kammer des Landgerichts, in dessen Bezirk das Landesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat, die Entscheidung über die Anordnung der Maßnahme nach Absatz 1. Die Maßnahme ist auf höchstens drei Monate zu befristen und kann um jeweils nicht mehr als drei Monate verlängert werden. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 315-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 4c des Gesetzes vom 22. September 2005 (BGBl. I S. 2809, 2819), in der jeweils geltenden Fassung, entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ergeht ohne vorherige Anhörung des Betroffenen und bedarf zu ihrer Wirksamkeit nicht der Bekanntmachung an ihn. Gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch den Vorsitzenden getroffen werden. Dessen Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von der Kammer bestätigt wird.

(9) In der schriftlichen Anordnung sind anzugeben:

  1. soweit bekannt, der Name und die Anschrift des Betroffenen, gegen den sich die Maßnahme richtet,
  2. die tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1, aufgrund derer die Maßnahme nach Absatz 1 angeordnet wird,
  3. die zu überwachende Wohnung oder die zu überwachenden Wohnräume,
  4. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme,
  5. die Erwartungen an die zu erhebenden Informationen.

In der Begründung der Anordnung oder Verlängerung sind deren Voraussetzungen und die wesentlichen Abwägungsgesichtspunkte darzulegen. Insbesondere sind anzugeben:

  1. die tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1,
  2. die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme,
  3. die tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne des Absatzes 3 Satz 1.

(10) Die Betroffenen sind von den nach Absatz 1 durchgeführten Maßnahmen zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme, im Fall des Absatzes 11 ohne Gefährdung der für den Verfassungsschutz tätigen Person, geschehen kann. Die Mitteilung obliegt dem Landesamt für Verfassungsschutz. Sind Daten aus Maßnahmen nach Absatz 1 an Dritte übermittelt worden, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dem Empfänger. Betroffene im Sinne des Satzes 1 sind:

  1. Betroffene, gegen die sich die Maßnahme nach § 5a richtet,
  2. Inhaber und Bewohner der Wohnung, in der die Maßnahmen durchgeführt worden sind,
  3. sonstige überwachte Personen.

Eine Unterrichtung von Betroffenen nach Satz 4 Nr. 2 und 3 unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Belange anderer Betroffener entgegenstehen oder die Identität von Betroffenen nach Satz 4 Nr. 2 und 3 nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt werden könnte. Erfolgt die Benachrichtigung nicht binnen sechs Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung der gerichtlichen Zustimmung. Die gerichtliche Entscheidung ist vorbehaltlich einer anderen gerichtlichen Anordnung jeweils nach einem Jahr erneut einzuholen.

(11) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf den verdeckten Einsatz technischer Mittel nach Absatz 1 ausschließlich zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit der bei einem Einsatz in Wohnungen für den Verfassungsschutz tätigen Person anordnen. Eine weitere Verarbeitung der hierbei erhobenen Daten, insbesondere eine Übermittlung nach § 12a, ist nur zulässig, wenn die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nach Maßgabe von Satz 1 und Absatz 1 zuvor gerichtlich festgestellt worden ist; bei Gefahr im Verzug ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. In diesen Fällen gelten die Absätze 5 bis 7 und 10 entsprechend.

(12) Auch nach Erledigung einer in den Absätzen 1 und 11 genannten Maßnahme können Betroffene binnen vier Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung sowie der Art und Weise des Vollzugs beantragen. Über den Antrag entscheidet das Gericht, das über die Anordnung der Maßnahme entschieden hat. Gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft.“

8.
Nach § 7 wird folgender § 7a eingefügt:
 
„§ 7a
Löschung von nach § 5a
erhobenen personenbezogenen Daten
 
(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat personenbezogene Daten, die durch eine Maßnahme nach § 5a erhoben wurden, unverzüglich zu löschen,
  1. wenn Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst wurden,
  2. wenn die Daten für die in § 5a Abs. 6 Satz 2 genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind; soweit die Daten für eine gerichtliche Überprüfung nach § 5a Abs. 12 von Bedeutung sein können, ist die Löschung der Daten zurückzustellen, sie sind zu sperren und dürfen nur zu diesem Zweck verwendet werden.

Im Falle von Satz 1 Nr. 2 hat die Prüfung der Erforderlichkeit der Datenspeicherung unverzüglich nach ihrer Erhebung und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten zu erfolgen. Die Erhebung und Löschung der Daten ist zu dokumentieren.

(2) Im Falle der Datenübermittlung nach § 12a prüft der Empfänger unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die Daten für die Zwecke, zu deren Erfüllung sie ihm übermittelt worden sind, noch erforderlich sind. Sind die Daten für die bestimmten Zwecke nicht mehr erforderlich, gilt Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 entsprechend. Die Löschung ist zu dokumentieren. Der Empfänger unterrichtet das Landesamt für Verfassungsschutz unverzüglich über die erfolgte Löschung.“

9.
§ 12 wird wie folgt geändert:
 
a)
In Absatz 1 werden nach Satz 1 folgende Sätze eingefügt: „Soweit die Daten Verwendungsbeschränkungen unterliegen, hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Daten zu kennzeichnen. Die Kennzeichnung ist durch den Empfänger aufrechtzuerhalten.“
 
b)
Dem Absatz 2 werden folgende Sätze angefügt: „Soweit die Daten Verwendungsbeschränkungen unterliegen, hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Daten zu kennzeichnen. Die Kennzeichnung ist durch den Empfänger aufrechtzuerhalten.“
10.
Nach § 12 wird folgender § 12a eingefügt:
 
„§ 12a
Übermittlung von nach § 5a
erhobenen personenbezogenen Daten
 
(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des § 5a erhobene personenbezogene Daten den in § 12 genannten Behörden nur zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Lebensgefahr oder einer dringenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, für Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für herausragende Sach- oder Vermögenswerte übermitteln. Für personenbezogene Daten nach § 5a Abs. 7 Satz 2 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass es sich um Gegenstände von bedeutendem Wert, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, um Gegenstände von kulturell herausragendem Wert oder um die in § 305 StGB genannten Bauwerke handeln muss.

(2) Zur Verfolgung von Straftaten darf das Landesamt für Verfassungsschutz unter den Voraussetzungen des § 5a erhobene personenbezogene Daten den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeidienststellen nur übermitteln, soweit die Voraussetzungen des § 100c StPO vorliegen und für die Straftat eine Höchststrafe von mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe angedroht wird.

(3) Die Übermittlung nach den Absätzen 1 und 2 ist nur zulässig, soweit

  1. sie zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich ist,
  2. nach eigenen Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz ausgeschlossen werden kann, dass der Empfänger die Daten für andere Zwecke nutzt,
  3. die bisherige Kennzeichnung der Daten aufrechterhalten bleibt,
  4. sichergestellt ist, dass der Empfänger § 7a Abs. 2 entsprechend anwendet, und
  5. die Übermittlung an ausländische Behörden nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz erfolgt.“
11.
In § 13 Abs. 1 Satz 1 wird die Angabe „§§ 10, 11 und 12“ durch die Angabe „§§ 10, 11, 12 und 12a“ ersetzt.
12.
§ 17 Abs. 1 Satz 2 wird wie folgt gefasst: „Hierzu gehört auch die Unterrichtung über die nach § 5 Abs. 3 und § 5a Abs. 1 und 10 angeordneten Maßnahmen und die nach § 5a Abs. 9 getroffenen Entscheidungen.“

Artikel 2

Das Staatsministerium des Innern kann den Wortlaut des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes in der vom In-Kraft-Treten dieses Gesetzes an geltenden Fassung im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt machen.

Artikel 3

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und ist zu verkünden.

Dresden, den 28. April 2006

Der Landtagspräsident
Erich Iltgen

Der Ministerpräsident
Prof. Dr. Georg Milbradt

Der Staatsminister des Innern
Dr. Albrecht Buttolo

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