Gemeinsames Programm
des Sächsischen Staatsministeriums
für Soziales und Verbraucherschutz
und der Sächsischen Tierseuchenkasse
zur Prävention von Schwanzbeißen sowie Schwanz- und Ohrrandnekrosen bei Schweinen in Sachsen
Vom 30. November 2016
Die derzeit geübte Praxis des routinemäßigen Kupierens der Schwänze von Ferkeln verstößt gegen deutsches Recht (§ 6 Absatz 1 des Tierschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 [BGBl. I S. 1206, 1313], das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 87 des Gesetzes vom 18. Juli 2016 [BGBl. I S. 1666] geändert worden ist) und europäisches Recht (Kapitel I Nummer 8 des Anhangs I der Richtlinie 2008/120/EG des Rates vom 18. Dezember 2008 über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen [ABl. L 47 vom 18.2.2009, S. 5, L 39 vom 16.2.2016, S. 63]). Bei gesetzeskonformem Kupierverzicht müsste nach wissenschaftlicher Schätzung unter den derzeitigen Haltungsbedingungen mit einer Schwanzbeißer-Rate von 60 Prozent gerechnet werden (Pütz et al., 2011) 1. Selbst unter extensiven Haltungsbedingungen (Freilandhaltung) von Schweinen mit unkupierten Schwänzen treten bei bis zu 20 Prozent der Tiere Verletzungen auf (Walker und Bilkei, 2006) 2
Gegenwärtig geht die Wissenschaft davon aus, dass sowohl Schwanz- als auch Ohrbeißen nur zum Teil als primärer Kannibalismus angesehen werden können. Hauptsächlich scheinen beide Verhaltensweisen sekundärer Natur zu sein und stellen wesentliche Symptome des Entzündungs- und Nekrosesyndroms beim Schwein dar. Schwanz- und Ohrrandnekrosen, die endogen entstehen und zu starkem Juckreiz führen, provozieren den sekundären Kannibalismus.
Die Pathogenese des Schwanz- und Ohrbeißens basiert auf der additiven und potenzierenden Wirkung einer schier unüberschaubaren Vielzahl unterschiedlichster Faktoren, die sich aus der intensiven und extensiven Schweinehaltung ergeben (EFSA, 2007) 3 und derzeit in Bezug auf die individuelle Betriebssituation in ihrer Wirkung kaum vorhersagbar sind.
Das Erkennen bestandsspezifischer Ursachen und das erfolgreiche Abstellen sind erste entscheidende Schritte auf dem Weg zur Haltung von Schweinen mit unkupierten Ringelschwänzen. Durch die Vermeidung von Schwanz- und Ohrrandnekrosen kann des Weiteren der Antibiotikaverbrauch erheblich reduziert werden.
Ein Instrument zur Ermittlung von Risikofaktoren, die zum Schwanzbeißen führen können, ist das vom Institut für Tierschutz und Tierhaltung im Friedrich-Loeffler-Institut entwickelte „Schwanzbeiß-Interventions-Programm“ (SchwIP). Dabei handelt es sich um ein Beratungskonzept, in das eine Software mit Wissensdatenbank zur betriebsindividuellen Analyse und Rückmeldung von Risiken für das Schwanzbeißen eingebettet ist.
Der Schweinegesundheitsdienst wird unter Nutzung dieses Programms, unter Einbeziehung der sächsischen „Checkliste zur Vermeidung von Verhaltensstörungen bei Schweinen“ sowie unter Berücksichtigung der Empfehlung (EU) 2016/336 der Kommission vom 8. März 2016 zur Anwendung der Richtlinie 2008/120/EG des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen im Hinblick auf die Verringerung der Notwendigkeit, den Schwanz zu kupieren (ABl. L 62 vom 9.3.2016, S. 20) in betroffenen Betrieben Risikofaktoren ermitteln und diese im Kontext zur Tiergesundheit und Fütterung, Haltung und Management interpretieren. Es sollen praktikable Lösungsvorschläge erarbeitet werden.
1. Ziel des Programms
Risikofaktorenanalyse und Beratung zur Reduzierung von Schwanzbeißen, Schwanz- und Ohrrandnekrosen sowie weiteren Symptomen des Entzündungs- und Nekrosesyndroms (Schwanznekrosen bei Saugferkeln, Laminitis und Zitzennekrosen) in Schweine haltenden Betrieben.
2. Teilnahme am Programm
An diesem Programm können alle Schweine haltenden Betriebe teilnehmen, bei denen Probleme mit Schwanzbeißen, Schwanz- oder Ohrrandnekrosen oder weiteren Symptomen des Entzündungs- und Nekrosesyndroms auftreten.
3. Verfahrensweise
Der Schweinegesundheitsdienst führt in den betroffenen Betrieben mit Hilfe des SchwIP-Programms und unter Einbeziehung der sächsischen „Checkliste zur Vermeidung von Verhaltensstörungen bei Schweinen“ eine betriebsindividuelle Risikoanalyse durch und unterbreitet praktikable Lösungsvorschläge. Gegebenenfalls können weiterführende labordiagnostische Untersuchungen durch den Schweinegesundheitsdienst veranlasst werden.
4. Datenübermittlung
Die Teilnehmer erklären sich mit der Teilnahme am Programm dazu bereit, dass die vom Schweinegesundheitsdienst im Rahmen des Programmes erhobenen Daten von der Sächsischen Tierseuchenkasse gespeichert und anonym verwendet werden dürfen.
5. Kosten
Die Kosten trägt der Tierhalter. Die Sächsische Tierseuchenkasse beteiligt sich an den Kosten in der jeweils geltenden Fassung ihrer Leistungssatzung.
6. Inkrafttreten
Das Programm tritt am 1. Januar 2017 in Kraft.
Dresden, den 30. November 2016
Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz
Dr. Koch
Abteilungsleiter
Sächsische Tierseuchenkasse
Dr. Walther
Vorsitzender des Verwaltungsrates