Sächsisches Kindergesundheits- und Kinderschutzgesetz
(SächsKiSchG)
erlassen als Artikel 1 des Gesetzes zur Förderung der Teilnahme von Kindern an Früherkennungsuntersuchungen
Vom 19. Juni 2009
§ 1
Ziel des Gesetzes
(1) Die öffentliche Jugendhilfe trägt in Zusammenarbeit mit der freien Jugendhilfe dafür Sorge, dass Risiken für das Wohl von Kindern beseitigt und Angebote frühzeitiger Förderung von Erziehungs- und Beziehungskompetenz zur Vermeidung von Überforderungen und Fehlverhalten und zur Bewältigung besonderer Belastungen von Eltern und Kindern rechtzeitig und niedrigschwellig erreicht werden. Die Träger der Jugendhilfe wirken in diesem Zusammenhang auf eine enge Zusammenarbeit mit allen in Betracht kommenden Einrichtungen und Diensten außerhalb der Jugendhilfe, insbesondere des Gesundheitswesens, hin.
(2) Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe unterstützen im bestehenden Rahmen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Bildung eines lokalen Netzwerks mit dem Ziel, umfassend durch Früherkennung von Risiken für Fehlentwicklungen sowie durch rechtzeitige Förderung und Hilfe einen wirksamen Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung zu erreichen. Sie wirken darauf hin, dass über die Jugendhilfe hinaus auch alle anderen Einrichtungen und Dienste, die im Rahmen ihrer Aufgaben Risiken für das Kindeswohl feststellen und zu wirksamer Hilfe beitragen können, aktiv in das Netzwerk eingebunden werden; dies gilt insbesondere für die Bereiche der Gesundheitsvorsorge und der Gesundheitsförderung.
(3) Das Landesjugendamt unterstützt insbesondere die Bildung der lokalen Netzwerke und deren Arbeit beratend und wirkt auf einen gleichmäßigen Ausbau der Einrichtungen und Angebote hin.
(4) Zur Förderung der gesundheitlichen Vorsorge und des gesunden Aufwachsens sowie zum Schutz vor Kindeswohlgefährdungen sollen alle Kinder mit Wohnsitz im Freistaat Sachsen an den bis zu einem Alter von vier Jahren vorgesehenen Früherkennungsuntersuchungen nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres (Kinder-Richtlinien) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. April 1976 (Beilage Nr. 28 zum BAnz. Nr. 214 vom 11. November 1976), zuletzt geändert durch Beschluss vom 19. Juni 2008 (BAnz. S. 3484), in der jeweils geltenden Fassung, teilnehmen. Zu diesem Zweck sollen die gesetzlichen Vertreter, deren Kinder nicht an Früherkennungsuntersuchungen teilgenommen haben, von den Gesundheitsbehörden erinnert und zur Teilnahme aufgefordert werden.
§ 2
Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke des Hinwirkens auf eine Teilnahme an Kinderfrüherkennungsuntersuchungen und zur Überprüfung der Fälle der Nichtteilnahme
(1) Nach Maßgabe von Absatz 3 Satz 1 übermittelt die Sächsische Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung (SAKD) zum Zwecke der Durchführung der Früherkennungsuntersuchungen U 4 bis U 8 (Früherkennungsuntersuchung) die in § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2, 6 bis 8 und 18 des Sächsischen Meldegesetzes (SächsMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Juli 2006 (SächsGVBl. S. 388), das durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. Dezember 2008 (SächsGVBl. S. 938, 939) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, genannten Daten und die gegenwärtige Anschrift aller Kinder, die das Alter von vier, sieben, zwölf, vierundzwanzig, sechsunddreißig oder achtundvierzig Monaten erreicht haben, auch für Gruppenanfragen im Wege des automatisierten Abrufverfahrens.
(2) Ärzte, welche bei einem Kind eine Früherkennungsuntersuchung in den Untersuchungsstufen U 4 bis U 8 durchgeführt haben, sind verpflichtet, der zuständigen Behörde innerhalb von fünf Werktagen nach Durchführung einer Früherkennungsuntersuchung in schriftlicher oder elektronischer Form folgende Daten zu übermitteln:
- 1.
- Familiennamen und Vornamen,
- 2.
- Tag der Geburt,
- 3.
- Geschlecht,
- 4.
- gesetzliche Vertreter,
- 5.
- gegenwärtige Anschrift,
- 6.
- die Bezeichnung der durchgeführten Früherkennungsuntersuchung.
(3) Die SAKD übermittelt die nach Absatz 1 bereitgehaltenen Daten frühestens fünf Werktage nach Ablauf des für die jeweilige Untersuchungsstufe maßgebenden Untersuchungszeitraumes und vor Ablauf der in Absatz 4 Satz 1 genannten Toleranzgrenzen an die zuständige Behörde. Liegt der zuständigen Behörde nach einem Abgleich der von ihr nach Absatz 1 abgerufenen Daten und ihr nach Absatz 2 übermittelten Daten keine Mitteilung über eine Teilnahme des Kindes an einer für seine Altersstufe entsprechende Früherkennungsuntersuchung vor, teilt sie dies unter Bezeichnung der nicht durchgeführten Untersuchung und der in Absatz 2 Nr. 1 bis 6 genannten Daten dem zuständigen Gesundheitsamt unverzüglich mit. Eine unverzügliche Mitteilung erfolgt auch dann, wenn die Informationen über eine durchgeführte Früherkennungsuntersuchung erst nach der Mitteilung an das Gesundheitsamt über die Nichtteilnahme bei der zuständigen Behörde eingeht.
(4) Das Gesundheitsamt erinnert die im Freistaat Sachsen ansässigen gesetzlichen Vertreter des Kindes unter Hinweis auf die in Abschnitt B der Kinder-Richtlinien festgelegten Toleranzgrenzen schriftlich an die nicht durchgeführte Früherkennungsuntersuchung und weist gleichzeitig auf den Zweck ihrer Durchführung hin. Liegt dem Gesundheitsamt zwei Wochen nach Ablauf der in Abschnitt B der Kinder-Richtlinien festgelegten Toleranzgrenze keine Meldung nach Absatz 3 Satz 3 vor, bietet es den im Freistaat Sachsen ansässigen gesetzlichen Vertretern des Kindes gesundheitliche Aufklärung und Beratung an. Es benennt die für die Durchführung der Früherkennungsuntersuchung geeigneten Ärzte oder führt eine Untersuchung mit Einverständnis der gesetzlichen Vertreter in begründeten Einzelfällen selbst oder durch einen Beauftragten durch.
(5) Werden die Hilfsangebote des Gesundheitsamtes zur Durchführung einer der Früherkennung vergleichbaren Untersuchung vom gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen und sind dem Gesundheitsamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls des Kindes bekannt geworden, soll das Gesundheitsamt dies unter der Bezeichnung der nicht durchgeführten Untersuchung und der in Absatz 2 Nr. 1 bis 6 genannten Daten dem zuständigen Jugendamt unverzüglich mitteilen. 1
§ 3
Gesundheitsberichterstattung und Datenlöschung
Die Erkenntnisse aus den nach § 2 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 6 erhobenen und abgeglichenen Daten stellt die zuständige Behörde dem Staatsministerium für Soziales anonymisiert für die Gesundheitsberichterstattung des Landes zur Verfügung. Die nach § 2 Abs. 1 erhobenen Daten sind zwölf Monate nach ihrer Übermittlung, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 1, 4 und 5 mit Vollendung des vierten Lebensjahres des Kindes zu löschen.
§ 4
Verordnungsermächtigung
Das Staatsministerium für Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Einzelheiten des Verfahrens und der Organisation zur Durchführung der Datenübermittlung nach den § 2 Abs. 2, §§ 3 und 5 zu regeln.
§ 5
Datenübermittlung bei Kindeswohlgefährdung
Werden einem Arzt, einer Hebamme, einem Entbindungspfleger oder einer Person, die mit der Ausbildung, Erziehung oder Betreuung von Kindern und Jugendlichen innerhalb von Diensten oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Behindertenhilfe betraut ist, gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt und reichen die eigenen fachlichen Hilfen nicht aus, die Gefährdung abzuwenden, sollen die vorgenannten Personen bei dem gesetzlichen Vertreter auf die Inanspruchnahme von Hilfen des Jugendamtes hinwirken. Ist ein Tätigwerden zur Abwehr der Gefährdung dringend erforderlich und ist der gesetzliche Vertreter nicht in der Lage oder nicht bereit, hieran mitzuwirken, sind die in Satz 1 genannten Personen befugt, dem Jugendamt die vorliegenden Erkenntnisse mitzuteilen; hierauf ist der gesetzliche Vertreter vorab hinzuweisen, es sei denn, dadurch würde der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen gefährdet.
§ 6
Kostentragung
(1) Der Freistaat Sachsen erstattet den Ärzten die im Zusammenhang mit der vollständigen Übermittlung von Daten nach § 2 Abs. 2 entstehenden Kosten durch Zahlung einer Pauschale in Höhe von 3,50 EUR für jedes untersuchte Kind. Für die Untersuchung von nichtversicherten Kindern wird eine Pauschale von 35 EUR je Kind gezahlt. Die Auszahlung erfolgt jeweils jährlich zum 1. Juli auf Antrag bei der zuständigen Behörde. Maßgebend ist der vom 1. Juni des Vorjahres bis zum 31. Mai des Auszahlungsjahres bei der zuständigen Behörde übermittelte Datenbestand.
(2) Der Freistaat Sachsen erstattet den Landkreisen und Kreisfreien Städten die mit der Durchführung dieses Gesetzes entstehenden Kosten durch Zahlung einer Pauschale in Höhe von
- 1.
- 3,50 EUR für die Erinnerung nach § 2 Abs. 4 Satz 1,
- 2.
- 35,00 EUR für die Durchführung der Untersuchung nach § 2 Abs. 4 Satz 3.
Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(3) Der Freistaat Sachsen erstattet der zuständigen Behörde die im Zusammenhang mit dem Abgleich der Daten nach § 2 Abs. 3 sowie die für die Erstattung nach Absatz 1 und 2 dieser Vorschrift entstandenen notwendigen Aufwendungen.
(4) Der Freistaat Sachsen erstattet der SAKD die Kosten für die Einrichtung des automatisierten Abrufverfahrens nach § 2 Abs. 1 sowie die Kosten für die zum Abruf bereitgehaltenen Daten nach § 36 Abs. 2 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zur Durchführung des Sächsischen Meldegesetzes (Sächsische Meldeverordnung – SächsMeldVO) vom 13. Dezember 2006 (SächsGVBl. S. 540), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 19. Juni 2009 (SächsGVBl. S. 379, 381) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung. Zur Einrichtung zählen im Wesentlichen die Aufgabenbeschreibung, die Vergabe, die Konzeption, die Entwicklung und die Produktivsetzung des automatisierten Abrufverfahrens. Im Übrigen gilt § 10 Abs. 2 des Gesetzes über die Errichtung der Sächsischen Anstalt für kommunale Datenverarbeitung ( SAKDG) vom 15. Juli 1994 (SächsGVBl. S. 1432), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 7. November 2007 (SächsGVBl. S. 478, 484) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung.
§ 7
Zuständigkeit
Zuständige Behörde nach den §§ 2 und 6 ist die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen.
§ 8
Berichterstattung
Die Staatsregierung erstattet dem Landtag im Jahr 2011 einen Bericht über die Umsetzung und die Auswirkungen sowie den Weiterentwicklungsbedarf der in diesem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz von Kindeswohl und Kindergesundheit auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Evaluation sowie entsprechender Beiträge, insbesondere des Landesjugendamtes und der Jugendämter. Der Sächsische Datenschutzbeauftragte ist zu beteiligen.