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REVOSax - Recht und Vorschriftenverwaltung Sachsen

Historische Fassung war gültig vom 06.06.1992 bis 31.12.2013

Verfassung des Freistaates Sachsen

Vollzitat: Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992 (SächsGVBl. S. 243), die durch das Gesetz vom 11. Juli 2013 (SächsGVBl. S. 502) geändert worden ist

Verfassung
des Freistaates Sachsen

Vom 27. Mai 1992

Der Sächsische Landtag hat als verfassungsgebende Landesversammlung am 26. Mai 1992 die folgende Verfassung beschlossen:

Präambel

Anknüpfend an die Geschichte der Mark Meißen,
des sächsischen Staates und des niederschlesischen Gebietes,

gestützt auf Traditionen der sächsischen Verfassungsgeschichte,

ausgehend von den leidvollen Erfahrungen nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft,

eingedenk eigener Schuld an seiner Vergangenheit,

von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen,

hat sich das Volk im Freistaat Sachsen
dank der friedlichen Revolution des Oktober 1989

diese Verfassung gegeben.

1. Abschnitt
Die Grundlagen des Staates

Artikel 1
[Verfassungsgrundsätze]

Der Freistaat Sachsen ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland. Er ist ein demokratischer, dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Kultur verpflichteter sozialer Rechtsstaat.

Artikel 2
[Hauptstadt, Landesfarben, Landeswappen]

(1) Die Hauptstadt des Freistaates ist Dresden.

(2) Die Landesfarben sind Weiß und Grün.

(3) Das Landeswappen zeigt im neunmal von Schwarz und Gold geteilten Feld einen schrägrechten grünen Rautenkranz. Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

(4) Im Siedlungsgebiet der Sorben können neben den Landesfarben und dem Landeswappen Farben und Wappen der Sorben, im schlesischen Teil des Landes die Farben und das Wappen Niederschlesiens, gleichberechtigt geführt werden.

Artikel 3
[Ausübung und Teilung der Staatsgewalt]

(1) Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(2) Die Gesetzgebung steht dem Landtag oder unmittelbar dem Volk zu. Die vollziehende Gewalt liegt in der Hand von Staatsregierung und Verwaltung. Die Rechtsprechung wird durch unabhängige Richter ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Artikel 4
[Wahl- und Abstimmungsgrundsätze]

(1) Alle nach der Verfassung durch das Volk vorzunehmenden Wahlen und Abstimmungen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.

(2) Wahl- und stimmberechtigt sind alle Bürger, die im Land wohnen oder sich dort gewöhnlich aufhalten und am Tag der Wahl oder Abstimmung das 18. Lebensjahr vollendet haben.

(3) Das Nähere bestimmen die Gesetze. Dabei kann das Wahl- und Stimmrecht von einer bestimmten Dauer des Aufenthaltes im Land und, wenn die Wahl- und Stimmberechtigten mehrere Wohnungen innehaben, auch davon abhängig gemacht werden, dass ihre Hauptwohnung im Land liegt.

Artikel 5
[Staatsvolk, Minderheiten]

(1) Dem Volk des Freistaates Sachsen gehören Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an. Das Land erkennt das Recht auf die Heimat an.

(2) Das Land gewährleistet und schützt das Recht nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung.

(3) Das Land achtet die Interessen ausländischer Minderheiten, deren Angehörige sich rechtmäßig im Land aufhalten.

Artikel 6
[Sorben]

(1) Die im Land lebenden Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit sind gleichberechtigter Teil des Staatsvolkes. Das Land gewährleistet und schützt das Recht auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege und Entwicklung ihrer angestammten Sprache, Kultur und Überlieferung, insbesondere durch Schulen, vorschulische und kulturelle Einrichtungen.

(2) In der Landes- und Kommunalplanung sind die Lebensbedürfnisse des sorbischen Volkes zu berücksichtigen. Der deutsch-sorbische Charakter des Siedlungsgebietes der sorbischen Volksgruppe ist zu erhalten.

(3) Die landesübergreifende Zusammenarbeit der Sorben, insbesondere in der Ober- und Niederlausitz, liegt im Interesse des Landes.

Artikel 7
[Menschenwürdiges Dasein als Staatsziel]

(1) Das Land erkennt das Recht eines jeden Menschen auf ein menschenwürdiges Dasein, insbesondere auf Arbeit, auf angemessenen Wohnraum, auf angemessenen Lebensunterhalt, auf soziale Sicherung und auf Bildung, als Staatsziel an.

(2) Das Land bekennt sich zur Verpflichtung der Gemeinschaft, alte und behinderte Menschen zu unterstützen und auf die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen hinzuwirken.

Artikel 8
[Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern]

Die Förderung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern ist Aufgabe des Landes.

Artikel 9
[Kinder- und Jugendschutz]

(1) Das Land erkennt das Recht eines jeden Kindes auf eine gesunde seelische, geistige und körperliche Entwicklung an.

(2) Die Jugend ist vor sittlicher, geistiger und körperlicher Gefährdung besonders zu schützen.

(3) Das Land fördert den vorbeugenden Gesundheitsschutz für Kinder und Jugendliche sowie Einrichtungen zu ihrer Betreuung.

Artikel 10
[Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen]

(1) Der Schutz der Umwelt als Lebensgrundlage ist, auch in Verantwortung für kommende Generationen, Pflicht des Landes und Verpflichtung aller im Land. Das Land hat insbesondere den Boden, die Luft und das Wasser, Tiere und Pflanzen sowie die Landschaft als Ganzes einschließlich ihrer gewachsenen Siedlungsräume zu schützen. Es hat auf den sparsamen Gebrauch und die Rückgewinnung von Rohstoffen und die sparsame Nutzung von Energie und Wasser hinzuwirken.

(2) Anerkannte Naturschutzverbände haben das Recht, nach Maßgabe der Gesetze an umweltbedeutsamen Verwaltungsverfahren mitzuwirken. Ihnen ist Klagebefugnis in Umweltbelangen einzuräumen; das Nähere bestimmt ein Gesetz.

(3) Das Land erkennt das Recht auf Genuss der Naturschönheiten und Erholung in der freien Natur an, soweit dem nicht die Ziele nach Absatz 1 entgegenstehen. Der Allgemeinheit ist in diesem Rahmen der Zugang zu Bergen, Wäldern, Feldern, Seen und Flüssen zu ermöglichen.

Artikel 11
[Förderung von Kultur, Kunst, Wissenschaft und Sport]

(1) Das Land fördert das kulturelle, das künstlerische und wissenschaftliche Schaffen, die sportliche Betätigung sowie den Austausch auf diesen Gebieten.

(2) Die Teilnahme an der Kultur in ihrer Vielfalt und am Sport ist dem gesamten Volk zu ermöglichen. Zu diesem Zweck werden öffentlich zugängliche Museen, Bibliotheken, Archive, Gedenkstätten, Theater, Sportstätten, musikalische und weitere kulturelle Einrichtungen sowie allgemein zugängliche Universitäten, Hochschulen, Schulen und andere Bildungseinrichtungen unterhalten.

(3) Denkmale und andere Kulturgüter stehen unter dem Schutz und der Pflege des Landes. Für ihr Verbleiben in Sachsen setzt sich das Land ein.

Artikel 12
[Grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit]

Das Land strebt grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit an, die auf den Ausbau nachbarschaftlicher Beziehungen, auf das Zusammenwachsen Europas und auf eine friedliche Entwicklung in der Welt gerichtet ist.

Artikel 13
[Pflicht zum Anstreben der Staatsziele]

Das Land hat die Pflicht, nach seinen Kräften die in dieser Verfassung niedergelegten Staatsziele anzustreben und sein Handeln danach auszurichten.

2. Abschnitt
Die Grundrechte

Artikel 14
[Menschenwürde]

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist Quelle aller Grundrechte.

Artikel 15
[Allgemeine Handlungsfreiheit]

Jeder Mensch hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Artikel 16
[Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit,
Freiheit der Person]

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(2) Niemand darf grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und ohne seine freiwillige und ausdrückliche Zustimmung wissenschaftlichen oder anderen Experimenten unterworfen werden.

Artikel 17
[Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehung]

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die betroffene Person muß unverzüglich über die Gründe der Freiheitsbeschränkung unterrichtet werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

(3) Jede wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig festgenommene Person ist spätestens am Tag nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihr die Gründe der Festnahme mitzuteilen, sie zu vernehmen und ihr Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine Vertrauensperson oder ein Familienmitglied der festgehaltenen Person zu benachrichtigen.

Artikel 18
[Gleichheitsgrundsatz]

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Frauen und Männer sind gleichberechtigt.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Artikel 19
[Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit]

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Artikel 20
[Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit]

(1) Jede Person hat das Recht, ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Unbeschadet des Rechtes, Rundfunk in privater Trägerschaft zu betreiben, werden Bestand und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewährleistet.

(3) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Artikel 21
[Kunst- und Wissenschaftsfreiheit]

Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Artikel 22
[Schutz von Ehe und Familie]

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Landes.

(2) Wer in häuslicher Gemeinschaft Kinder erzieht oder für Hilfsbedürftige sorgt, verdient Förderung und Entlastung.

(3) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuerst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht das Land.

(4) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(5) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

Artikel 23
[Versammlungsfreiheit]

(1) Alle haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Artikel 24
[Vereinigungsfreiheit]

(1) Alle Bürger haben das Recht, Vereinigungen zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

Artikel 25
[Koalitionsfreiheit]

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jede Person und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig; hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.

Artikel 26
[Mitbestimmung in Betrieben und Dienststellen]

In Betrieben, Dienststellen und Einrichtungen des Landes sind Vertretungsorgane der Beschäftigten zu bilden. Diese haben nach Maßgabe der Gesetze das Recht auf Mitbestimmung.

Artikel 27
[Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis]

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt. Für diesen Fall ist vorzusehen, dass die Beschränkungsmaßnahmen dem Betroffenen nach ihrem Abschluss mitzuteilen sind, wenn eine Gefährdung des Zweckes der Beschränkung ausgeschlossen werden kann.

Artikel 28
[Berufsfreiheit]

(1) Beruf und Arbeitsplatz können frei gewählt werden, soweit Bundesrecht nicht entgegensteht. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Erwerbsmäßige Kinderarbeit ist grundsätzlich verboten.

(3) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

Artikel 29
[Ausbildungs- und Bildungsfreiheit]

(1) Alle Bürger haben das Recht, die Ausbildungsstätte frei zu wählen.

(2) Alle Bürger haben das Recht auf gleichen Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen.

Artikel 30
[Unverletzlichkeit der Wohnung]

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Artikel 31
[Eigentum und Erbrecht]

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen, insbesondere die natürlichen Lebensgrundlagen schonen.

Artikel 32
[Enteignung, Überführung in Gemeinwirtschaft]

(1) Eine Enteignung ist nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.

(2) Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zweck der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.

(3) Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.

Artikel 33
[Recht auf Datenschutz]

Jeder Mensch hat das Recht, über die Erhebung, Verwendung und Weitergabe seiner personenbezogenen Daten selbst zu bestimmen. Sie dürfen ohne freiwillige und ausdrückliche Zustimmung der berechtigten Person nicht erhoben, gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden. In dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Artikel 34
[Auskunft über Umweltdaten]

Jede Person hat das Recht auf Auskunft über die Daten, welche die natürliche Umwelt in ihrem Lebensraum betreffen, soweit sie durch das Land erhoben oder gespeichert worden sind und soweit nicht Bundesrecht, rechtlich geschützte Interessen Dritter oder überwiegende Belange der Allgemeinheit entgegenstehen.

Artikel 35
[Petitionsrecht]

Jede Person hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Es besteht Anspruch auf begründeten Bescheid in angemessener Frist.

Artikel 36
[Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt]

Die in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 37
[Einschränkung von Grundrechten]

(1) Soweit nach dieser Verfassung ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für juristische Personen mit Sitz innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

Artikel 38
[Rechtsweggarantie]

Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 27 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

3. Abschnitt
Der Landtag

Artikel 39
[Aufgabe, Freies Mandat]

(1) Der Landtag ist die gewählte Vertretung des Volkes.

(2) Der Landtag übt die gesetzgebende Gewalt aus, überwacht die Ausübung der vollziehenden Gewalt nach Maßgabe dieser Verfassung und ist Stätte der politischen Willensbildung.

(3) Die Abgeordneten vertreten das ganze Volk. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.

Artikel 40
[Parlamentarische Opposition]

Das Recht auf Bildung und Ausübung parlamentarischer Opposition ist wesentlich für die freiheitliche Demokratie. Die Regierung nicht tragende Teile des Landtages haben das Recht auf Chancengleichheit in Parlament und Öffentlichkeit.

Artikel 41
[Wahlsystem, Wählbarkeit]

(1) Der Landtag besteht in der Regel aus 120 Abgeordneten. Sie werden nach einem Verfahren gewählt, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet.

(2) Wählbar sind alle Wahlberechtigten. Die Wählbarkeit kann von einer bestimmten Dauer des Aufenthaltes im Land abhängig gemacht werden.

(3) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 42
[Kandidatur, Ansprüche der Abgeordneten]

(1) Wer sich um einen Sitz im Landtag bewirbt, hat Anspruch auf den zur Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub.

(2) Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis aus diesem Grund ist unzulässig.

(3) Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Sie haben innerhalb des Landes das Recht der kostenfreien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel.

(4) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 43
[Erwerb und Verlust des Mandats]

(1) Wer zum Abgeordneten gewählt ist, erwirbt sein Mandat mit der Annahme der Wahl, die rechtliche Stellung eines Mitgliedes des Landtages jedoch nicht vor Zusammentritt des neuen Landtages. Die Annahme der Wahl kann abgelehnt werden.

(2) Abgeordnete können jederzeit auf ihr Mandat verzichten. Der Verzicht ist dem Präsidenten des Landtages schriftlich zu erklären. Die Erklärung ist unwiderruflich.

(3) Verlieren Abgeordnete die Wählbarkeit, so erlischt ihr Mandat.

Artikel 44
[Wahlperiode, Zusammentritt, Einberufung]

(1) Der Landtag wird auf fünf Jahre gewählt. Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Landtages. Dies gilt auch für den Fall der Auflösung des Landtages.

(2) Die Neuwahl muß vor Ablauf der Wahlperiode, im Fall der Auflösung des Landtages binnen sechzig Tagen stattfinden.

(3) Der Landtag tritt spätestens am dreißigsten Tag nach der Neuwahl zusammen. Die erste Sitzung wird vom Alterspräsidenten einberufen und bis zur Wahl des Landtagspräsidenten geleitet.

(4) Der Landtag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. Der Präsident kann den Landtag früher einberufen. Er ist dazu verpflichtet, wenn ein Viertel der Mitglieder des Landtages oder die Staatsregierung es verlangt.

Artikel 45
[Wahlprüfung]

(1) Die Wahlprüfung ist Sache des Landtages. Er entscheidet auch, ob ein Mitglied sein Mandat verloren hat.

(2) Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zulässig.

(3) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 46
[Geschäftsordnung, Fraktionen]

(1) Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) In der Geschäftsordnung sind Regelungen für den Zusammenschluß der Abgeordneten zu Fraktionen zu treffen.

(3) Die Rechte fraktionsloser Abgeordneter dürfen nicht beschränkt werden.

(4) Die Änderung der Geschäftsordnung bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten.

Artikel 47
[Präsident]

(1) Der Landtag wählt seinen Präsidenten und dessen Stellvertreter, die zusammen mit weiteren Mitgliedern das Präsidium bilden, und die Schriftführer.

(2) Der Präsident leitet die Verhandlungen nach Maßgabe der Geschäftsordnung.

(3) Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Landtages aus. Ohne seine Zustimmung darf in den Räumen des Landtages keine Durchsuchung oder Beschlagnahme stattfinden.

(4) Der Präsident verwaltet die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Landtages nach Maßgabe des Haushaltsgesetzes. Er vertritt den Freistaat im Rahmen der Verwaltung des Landtages. Ihm steht die Einstellung und Entlassung der Angestellten und Arbeiter sowie im Benehmen mit dem Präsidium die Ernennung und Entlassung der Beamten des Landtages zu. Der Präsident ist oberste Dienstbehörde für die Beamten, Angestellten und Arbeiter des Landtages.

Artikel 48
[Verhandlungen, Beschlussfähigkeit, Beschlussfassung]

(1) Die Verhandlungen des Landtages sind öffentlich. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, wenn der Landtag es auf Antrag von zwölf Abgeordneten oder eines Mitgliedes der Staatsregierung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten beschließt. Über den Antrag wird in nichtöffentlicher Sitzung entschieden.

(2) Der Landtag ist beschlußfähig, wenn nicht auf Antrag eines seiner Mitglieder, der nur bis zum Beginn einer Abstimmung zulässig ist, vom Präsidenten festgestellt wird, dass weniger als die Hälfte der Abgeordneten anwesend sind.

(3) Der Landtag beschließt mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern diese Verfassung nichts anderes bestimmt. Für die vom Landtag vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen.

(4) Für wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Landtages und seiner Ausschüsse darf niemand zur Verantwortung gezogen werden.

Artikel 49
[Anwesenheit der Staatsregierung]

(1) Der Landtag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit eines jeden Mitgliedes der Staatsregierung verlangen.

(2) Die Mitglieder der Staatsregierung und ihre Beauftragten haben zu den Sitzungen des Landtages und seiner Ausschüsse Zutritt und müssen jederzeit gehört werden. Sie unterstehen der Ordnungsgewalt des Präsidenten und der Vorsitzenden der Ausschüsse.

(3) Zu nichtöffentlichen Sitzungen der Untersuchungsausschüsse, die nicht der Beweiserhebung dienen, haben die Mitglieder der Staatsregierung und ihre Beauftragten nur Zutritt, wenn sie geladen sind. Sie können gehört werden. In jedem Fall gibt der Untersuchungsausschuß der Staatsregierung Gelegenheit, zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Weitere Beschränkungen des Zutrittsrechtes der Mitglieder und Beauftragten der Staatsregierung zu den Sitzungen der Untersuchungsausschüsse können durch Gesetz bestimmt werden.

Artikel 50
[Informationspflicht der Staatsregierung]

Die Staatsregierung ist verpflichtet, über ihre Tätigkeit den Landtag insoweit zu informieren, als dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist.

Artikel 51
[Frage- und Auskunftsrecht der Abgeordneten]

(1) Fragen einzelner Abgeordneter oder parlamentarische Anfragen haben die Staatsregierung oder ihre Mitglieder im Landtag und in seinen Ausschüssen nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten. Die gleiche Verpflichtung trifft die Beauftragten der Staatsregierung in den Ausschüssen.

(2) Die Staatsregierung kann die Beantwortung von Fragen ablehnen, wenn diese den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung berühren oder einer Beantwortung gesetzliche Regelungen, Rechte Dritter oder überwiegende Belange des Geheimschutzes entgegenstehen.

(3) Das Nähere regelt die Geschäftsordnung des Landtages.

Artikel 52
[Ausschüsse]

(1) Der Landtag bildet ständige Ausschüsse. Die Geschäftsordnung bestimmt Aufgaben, Zusammensetzung und Arbeitsweise.

(2) Der Landtag kann auf Antrag von zwölf Abgeordneten oder einer Fraktion die Bildung zeitweiliger Ausschüsse beschließen. Gegenstand und Ziel des jeweiligen Ausschusses sind im Beschluss festzulegen.

(3) Die Ausschüsse können öffentlich tagen.

Artikel 53
[Petitionsausschuss]

(1) Der Landtag bestellt einen Petitionsausschuß zur Behandlung der an ihn gerichteten Bitten und Beschwerden.

(2) Nach Maßgabe der Geschäftsordnung des Landtages können Bitten und Beschwerden auch einem anderen Ausschuss überwiesen werden.

(3) Die Befugnisse des Petitionsausschusses, insbesondere das Zutrittsrecht zu den öffentlichen Einrichtungen und das Recht auf Aktenvorlage, werden durch Gesetz geregelt.

Artikel 54
[Untersuchungsausschüsse]

(1) Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Der Gegenstand der Untersuchung ist im Beschluss festzulegen. Der in einem Minderheitsantrag bezeichnete Untersuchungsgegenstand darf gegen den Willen der Antragsteller nicht verändert werden.

(2) Die Ausschüsse erheben in öffentlicher Verhandlung die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich halten. Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn zwei Drittel der anwesenden Mitglieder des Ausschusses dies verlangen.

(3) Beweise sind zu erheben, wenn sie von einem Fünftel der Mitglieder des Ausschusses beantragt werden.

(4) Auf Verlangen eines Fünftels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses ist die Staatsregierung verpflichtet, Akten vorzulegen und ihren Bediensteten Aussagegenehmigung zu erteilen, soweit nicht der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung berührt wird oder gesetzliche Regelungen, Rechte Dritter oder überwiegende Belange des Geheimschutzes entgegenstehen.

(5) Gerichte und Verwaltungsbehörden sind zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet.

(6) Das Nähere über die Einsetzung, die Befugnisse und das Verfahren der Untersuchungsausschüsse wird durch Gesetz geregelt. Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bleibt unberührt.

(7) Die Beschlüsse und Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse unterliegen nicht der gerichtlichen Nachprüfung. Die Gerichte sind jedoch frei in der Würdigung und Beurteilung des Sachverhaltes, der der Untersuchung zugrunde liegt.

Artikel 55
[Idemnität und Immunität der Abgeordneten]

(1) Abgeordnete dürfen zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie im Landtag oder sonst in Ausübung ihres Mandates getan haben, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder anderweitig außerhalb des Landtages zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.

(2) Abgeordnete dürfen nur mit Einwilligung des Landtages wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen, festgenommen, festgehalten oder verhaftet werden, es sei denn, dass sie bei Begehung einer strafbaren Handlung oder im Lauf des folgenden Tages festgenommen werden. Die Einwilligung des Landtages ist auch bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit von Abgeordneten erforderlich.

(3) Jedes Strafverfahren gegen Abgeordnete und jede Haft oder sonstige Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit ist auf Verlangen des Landtages für die Dauer der Wahlperiode oder einen kürzer begrenzten Zeitraum auszusetzen.

Artikel 56
[Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten]

(1) Die Abgeordneten können über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete oder denen sie als Abgeordnete Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis verweigern.

(2) Personen, deren Mitarbeit Abgeordnete in Ausübung ihres Mandates in Anspruch nehmen, können das Zeugnis über die Wahrnehmungen verweigern, die sie anläßlich dieser Mitarbeit gemacht haben.

(3) Soweit dieses Zeugnisverweigerungsrecht reicht, sind die Durchsuchung und die Beschlagnahme von Schriftstücken und anderen Informationsträgern unzulässig.

Artikel 57
[Datenschutzbeauftragter]

Zur Wahrung des Rechtes auf Datenschutz und zur Unterstützung bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird beim Landtag ein Datenschutzbeauftragter berufen. Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 58
[Auflösung des Landtages]

Der Landtag kann sich auf Beschluss von zwei Dritteln seiner Mitglieder selbst auflösen.

4. Abschnitt
Die Staatsregierung

Artikel 59
[Stellung und Aufgabe, Zusammensetzung, Geschäftsbereiche]

(1) Die Staatsregierung steht an der Spitze der vollziehenden Gewalt. Ihr obliegt die Leitung und Verwaltung des Landes. Sie hat nach Maßgabe der Verfassung Anteil an der Gesetzgebung.

(2) Die Staatsregierung besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Staatsministern. Als weitere Mitglieder der Staatsregierung können Staatssekretäre ernannt werden.

(3) Die Staatsregierung beschließt über die Geschäftsbereiche ihrer Mitglieder. Der Ministerpräsident kann einen Geschäftsbereich selbst übernehmen.

Artikel 60
[Bildung der Staatsregierung]

(1) Der Ministerpräsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ohne Aussprache in geheimer Abstimmung gewählt.

(2) Kommt eine Wahl nach Absatz 1 nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält.

(3) Wird der Ministerpräsident nicht innerhalb von vier Monaten nach dem Zusammentritt des neugewählten Landtages oder nach der sonstigen Erledigung des Amtes des Ministerpräsidenten gewählt, so ist der Landtag aufgelöst.

(4) Der Ministerpräsident beruft und entläßt die Staatsminister und Staatssekretäre. Er bestellt seinen Stellvertreter.

Artikel 61
[Amtseid]

Die Mitglieder der Staatsregierung leisten beim Amtsantritt den Amtseid vor dem Landtag. Er lautet: ,,Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohl des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber allen üben werde.” Der Eid kann auch mit der Beteuerung ,,So wahr mir Gott helfe” geleistet werden.

Artikel 62
[Rechtsstellung der Mitglieder der Staatsregierung,
Unvereinbarkeiten]

(1) Das Amtsverhältnis der Mitglieder der Staatsregierung, insbesondere die Besoldung und Versorgung, ist durch Gesetz zu regeln.

(2) Die Mitglieder der Staatsregierung dürfen kein anderes besoldetes Amt, keinen Beruf und kein Gewerbe ausüben. Sie dürfen nicht dem Aufsichtsrat oder dem Vorstand einer privaten Erwerbsgesellschaft angehören. Eine Ausnahme besteht für Gesellschaften, bei denen der überwiegende Einfluß des Staates sichergestellt ist. Die Staatsregierung gibt dem Landtag jede Übernahme einer Funktion gemäß Satz 3 bekannt. Weitere Ausnahmen kann die Staatsregierung mit Zustimmung des Landtages zulassen.

Artikel 63
[Richtlinienkompetenz, Ressorthoheit]

(1) Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.

(2) Innerhalb der Richtlinien der Politik leitet jeder Staatsminister seinen Geschäftsbereich selbständig unter eigener Verantwortung.

Artikel 64
[Zuständigkeiten, Geschäftsordnung]

(1) Die Staatsregierung beschließt insbesondere über Gesetzesvorlagen, über die Stimmabgabe des Freistaates im Bundesrat, über Angelegenheiten, in denen die Verfassung oder ein Gesetz dies vorschreibt, über Meinungsverschiedenheiten, die den Geschäftskreis mehrerer Staatsministerien berühren, und über Fragen von grundsätzlicher oder weittragender Bedeutung.

(2) Die Staatsregierung gibt sich eine Geschäftsordnung.

Artikel 65
[Vertretung des Landes, Abschluss von Staatsverträgen]

(1) Der Ministerpräsident vertritt das Land nach außen.

(2) Der Abschluss von Staatsverträgen bedarf der Zustimmung der Staatsregierung und des Landtages.

Artikel 66
[Ernennungsrecht]

Der Ministerpräsident ernennt und entläßt die Richter und Beamten des Freistaates. Dieses Recht kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes auf andere Staatsbehörden übertragen werden.

Artikel 67
[Begnadigungsrecht]

(1) Der Ministerpräsident übt das Begnadigungsrecht aus. Er kann dieses Recht, soweit es sich nicht um schwere Fälle handelt, mit Zustimmung der Staatsregierung auf andere Staatsbehörden übertragen.

(2) Ein allgemeiner Straferlaß und eine allgemeine Niederschlagung anhängiger Strafverfahren können nur durch Gesetz ausgesprochen werden.

Artikel 68
[Rücktritt, Beendigung der Amtszeit,
Geschäftsführende Regierung]

(1) Die Staatsregierung und jedes ihrer Mitglieder können jederzeit ihren Rücktritt erklären.

(2) Das Amt des Ministerpräsidenten und der übrigen Mitglieder der Staatsregierung endet mit dem Zusammentritt eines neuen Landtages, das Amt eines Staatsministers und eines Staatssekretärs auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Ministerpräsidenten.

(3) Im Fall des Rücktrittes oder einer sonstigen Beendigung des Amtes haben die Mitglieder der Staatsregierung bis zur Amtsübernahme der Nachfolger die Amtsgeschäfte weiterzuführen.

Artikel 69
[Konstruktives Misstrauensvotum]

(1) Der Landtag kann dem Ministerpräsidenten das Vertrauen nur dadurch entziehen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt.

(2) Zwischen dem Antrag auf Abberufung und der Wahl müssen mindestens drei Tage liegen.

5. Abschnitt
Die Gesetzgebung

Artikel 70
[Gesetzesinitiative, Beschluss der Gesetze]

(1) Gesetzesvorlagen werden von der Staatsregierung, aus der Mitte des Landtages oder vom Volk durch Volksantrag eingebracht.

(2) Die Gesetze werden vom Landtag oder unmittelbar vom Volk durch Volksentscheid beschlossen.

Artikel 71
[Volksantrag]

(1) Alle im Land Stimmberechtigten haben das Recht, einen Volksantrag in Gang zu setzen. Er muß von mindestens 40 000 Stimmberechtigten durch ihre Unterschrift unterstützt sein. Ihm muß ein mit Begründung versehener Gesetzentwurf zugrunde liegen.

(2) Der Volksantrag ist beim Landtagspräsidenten einzureichen. Er entscheidet nach Einholen der Stellungnahme der Staatsregierung unverzüglich über die Zulässigkeit. Hält er den Volksantrag für verfassungswidrig, entscheidet auf seinen Antrag der Verfassungsgerichtshof. Der Volksantrag darf bis zu einer gegenteiligen Entscheidung nicht als unzulässig behandelt werden.

(3) Der Landtagspräsident veröffentlicht den zulässigen Volksantrag mit Begründung.

(4) Der Landtag gibt den Antragstellern Gelegenheit zur Anhörung.

Artikel 72
[Volksbegehren, Volksentscheid]

(1) Stimmt der Landtag dem unveränderten Volksantrag nicht binnen sechs Monaten zu, können die Antragsteller ein Volksbegehren mit dem Ziel in Gang setzen, einen Volksentscheid über den Antrag herbeizuführen. Dem Volksbegehren kann von den Antragstellern ein gegenüber dem Volksantrag veränderter Gesetzentwurf zugrunde gelegt werden. In diesem Falle findet Artikel 71 Absatz 2 entsprechende Anwendung.

(2) Ein Volksentscheid findet statt, wenn mindestens 450 000, jedoch nicht mehr als 15 vom Hundert, der Stimmberechtigten das Volksbegehren durch ihre Unterschrift unterstützen. Für die Unterstützung müssen mindestens sechs Monate zur Verfügung stehen. Der Landtag kann zum Volksentscheid einen eigenen Gesetzentwurf beifügen.

(3) Zwischen einem erfolgreich abgeschlossenen Volksbegehren und dem Volksentscheid muß eine Frist von mindestens drei und höchstens sechs Monaten liegen, die der öffentlichen Information und Diskussion über den Gegenstand des Volksentscheides dient. Diese Frist kann nur mit Einverständnis der Antragsteller unter- oder überschritten werden.

(4) Bei dem Volksentscheid wird mit Ja oder Nein gestimmt. Es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen.

Artikel 73
[Unzulässigkeit von Volksantrag, -begehren und -entscheid,
Wiederholung]

(1) Über Abgaben-, Besoldungs- und Haushaltsgesetze finden Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid nicht statt.

(2) Ein durch Volksentscheid abgelehnter Volksantrag kann frühestens nach Ablauf der Wahlperiode des Landtages erneut in Gang gesetzt werden.

(3) Das Nähere über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid bestimmt ein Gesetz, in dem auch der Anspruch auf Erstattung der notwendigen Kosten für die Organisation des Volksbegehrens und eines angemessenen Abstimmungskampfes geregelt wird.

Artikel 74
[Verfassungsänderung]

(1) Die Verfassung kann nur durch Gesetz geändert werden, das den Wortlaut der Verfassung ausdrücklich ändert oder ergänzt. Die Änderung darf den Grundsätzen der Artikel 1, 3, 14 und 36 dieser Verfassung nicht widersprechen. Die Entscheidung, ob ein Änderungsantrag zulässig ist, trifft auf Antrag der Staatsregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Landtages der Verfassungsgerichtshof.

(2) Ein verfassungsänderndes Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages.

(3) Die Verfassung kann durch Volksentscheid geändert werden, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder des Landtages dies beantragt. Sie kann ferner durch einen Volksentscheid gemäß Artikel 72 geändert werden. Das verfassungsändernde Gesetz ist beschlossen, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten zustimmt.

Artikel 75
[Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften]

(1) Die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen kann nur durch Gesetz erteilt werden. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt werden. Die Rechtsgrundlage ist in der Verordnung anzugeben.

(2) Die zur Ausführung der Gesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften werden von der Staatsregierung erlassen, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen.

Artikel 76
[Ausfertigung, Verkündung, Inkrafttreten von Rechtsnormen]

(1) Die verfassungsmäßig beschlossenen Gesetze werden vom Landtagspräsidenten nach Gegenzeichnung des Ministerpräsidenten und des zuständigen Staatsministers ausgefertigt und vom Ministerpräsidenten binnen Monatsfrist im Gesetz- und Verordnungsblatt des Freistaates Sachsen verkündet. Wenn der Landtag die Dringlichkeit beschließt, müssen sie unverzüglich ausgefertigt und verkündet werden.

(2) Rechtsverordnungen werden von der Stelle, die sie erläßt, solche der Staatsregierung vom Ministerpräsidenten und den zuständigen Staatsministern, ausgefertigt und, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, im Gesetz- und Verordnungsblatt des Freistaates Sachsen verkündet.

(3) Gesetze und Rechtsverordnungen sollen den Tag bestimmen, an dem sie in Kraft treten. Fehlt eine solche Bestimmung, so treten sie mit dem vierzehnten Tag nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Gesetz- und Verordnungsblatt ausgegeben worden ist.

6. Abschnitt
Die Rechtsprechung

Artikel 77
[Gerichte, Richterliche Unabhängigkeit,
Ehrenamtliche Richter]

(1) Die Rechtsprechung wird im Namen des Volkes durch den Verfassungsgerichtshof und die Gerichte ausgeübt, die gemäß den Gesetzen des Bundes und des Freistaates errichtet sind.

(2) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.

(3) An der Rechtsprechung wirken Frauen und Männer aus dem Volk nach Maßgabe der Gesetze mit.

Artikel 78
[Gesetzlich bestimmter Richter, Rechtliches Gehör]

(1) Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte sind unzulässig.

(2) Vor Gericht hat jede Person Anspruch auf rechtliches Gehör.

(3) Jede Person hat Anspruch auf ein gerechtes, zügiges und öffentliches Verfahren und das Recht auf Verteidigung. Die Öffentlichkeit darf nur nach Maßgabe des Gesetzes ausgeschlossen werden.

Artikel 79
[Rechtsstellung der Richter]

(1) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können gegen ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, die die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Durch Gesetz können Altersgrenzen festgesetzt werden, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amt entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

(2) Die Ernennung, der Amtseid und die Rechtsstellung der Richter werden im übrigen durch Gesetz geregelt.

(3) Durch Gesetz kann bestimmt werden, dass bei der Ernennung und Anstellung der Richter ein Richterwahlausschuß mitwirkt.

Artikel 80
[Richteranklage]

(1) Wenn ein Richter im Amt oder außerhalb des Amtes gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes oder des Freistaates verstößt, so kann auf Antrag des Landtages das Bundesverfassungsgericht anordnen, dass der Richter in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen ist. Im Fall eines vorsätzlichen Verstoßes kann auf Entlassung erkannt werden.

(2) Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß mindestens von einem Drittel der Mitglieder des Landtages gestellt werden. Der Beschluss auf Erhebung der Anklage erfordert bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages eine Zweidrittelmehrheit, die jedoch mehr als die Hälfte der Mitglieder betragen muß.

Artikel 81
[Zuständigkeit und Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes]

(1) Der Verfassungsgerichtshof entscheidet

  1. über die Auslegung dieser Verfassung aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Staatsorganes oder anderer Beteiligter, die durch die Verfassung oder in der Geschäftsordnung des Landtages oder der Staatsregierung mit eigener Zuständigkeit ausgestattet sind, auf Antrag des obersten Staatsorganes oder anderer Beteiligter,
  2. bei Zweifeln oder Meinungsverschiedenheiten über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit dieser Verfassung auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Landtages oder auf Antrag der Staatsregierung,
  3. über die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes mit dieser Verfassung, nachdem ein Gericht das Verfahren gemäß Artikel 100 Absatz 1 des Grundgesetzes ausgesetzt hat,
  4. über Verfassungsbeschwerden, die von jeder Person erhoben werden können, die sich durch die öffentliche Gewalt in einem ihrer in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte (Artikel 4, 14 bis 38, 41, 78, 91, 102, 105 und 107) verletzt fühlt,
  5. in den weiteren in dieser Verfassung ihm zugewiesenen Angelegenheiten,
  6. in den ihm durch Gesetz zugewiesenen Angelegenheiten.

(2) Der Verfassungsgerichtshof besteht aus fünf Berufsrichtern und vier anderen Mitgliedern.

(3) Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes werden vom Landtag mit zwei Dritteln seiner Mitglieder auf die Dauer von neun Jahren gewählt. Den Vorsitz führt einer der Berufsrichter. Die Mitglieder dürfen weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören.

(4) Das Nähere bestimmt ein Gesetz. Es kann auch vorsehen, dass Wahlen zum Verfassungsgerichtshof im Abstand von drei Jahren stattfinden und dass die Amtszeit der bei der ersten Wahl zum Verfassungsgerichtshof zu bestellenden Mitglieder sowie der bei vorzeitigem Ausscheiden eines Richters nachgewählten Mitglieder abweichend von Absatz 3 geregelt wird.

7. Abschnitt
Die Verwaltung

Artikel 82
[Träger der Verwaltung]

(1) Die Verwaltung wird durch die Staatsregierung, die ihr unterstellten Behörden und durch die Träger der Selbstverwaltung ausgeübt. Sie ist dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet und dient dem Menschen.

(2) Träger der Selbstverwaltung sind die Gemeinden, die Landkreise und andere Gemeindeverbände. Ihnen ist das Recht gewährleistet, ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze unter eigener Verantwortung zu regeln.

(3) Andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen sind nach Maßgabe der Gesetze Träger der Selbstverwaltung.

Artikel 83
[Verwaltungsorganisation]

(1) Aufbau, räumliche Gliederung und Zuständigkeiten der Landesverwaltung werden durch Gesetz geregelt. Aufgaben, die von den nachgeordneten Verwaltungsbehörden zuverlässig und zweckmäßig erfüllt werden können, sind diesen zuzuweisen.

(2) Die Einrichtung der staatlichen Behörden im einzelnen obliegt der Staatsregierung. Sie kann Staatsminister hierzu ermächtigen.

(3) Der Freistaat unterhält keinen Geheimdienst mit polizeilichen Befugnissen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel unterliegt einer Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane, sofern dieser Einsatz nicht der richterlichen Kontrolle unterlegen hat. Das Nähere bestimmt das Gesetz.

Artikel 84
[Kommunale Selbstverwaltung]

(1) Die Gemeinden sind in ihrem Gebiet die Träger der öffentlichen Aufgaben, soweit nicht bestimmte Aufgaben im öffentlichen Interesse durch Gesetz anderen Stellen übertragen sind. Die Gemeindeverbände haben innerhalb ihrer Zuständigkeit die gleiche Stellung.

(2) Bevor durch Gesetz oder Rechtsverordnung allgemeine Fragen geregelt werden, welche die Gemeinden und Gemeindeverbände berühren, sind diese oder ihre Zusammenschlüsse rechtzeitig zu hören.

Artikel 85
[Übertragung von Aufgaben, Mehrbelastungsausgleich]

(1) Den kommunalen Trägern der Selbstverwaltung kann durch Gesetz die Erledigung bestimmter Aufgaben übertragen werden. Sie sollen ihnen übertragen werden, wenn sie von ihnen zuverlässig und zweckmäßig erfüllt werden können. Dabei sind Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen.

(2) Führt die Übertragung der Aufgaben zu einer Mehrbelastung der kommunalen Träger der Selbstverwaltung, so ist ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen.

(3) Bei Übertragung öffentlicher Aufgaben kann sich der Freistaat ein Weisungsrecht nach näherer gesetzlicher Vorschrift vorbehalten.

Artikel 86
[Vertretung der Selbstverwaltungskörperschaften]

(1) In den Gemeinden und Landkreisen muß das Volk eine gewählte Vertretung haben. In kleinen Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Vertretung die Gemeindeversammlung treten.

(2) In den Gemeinden wirken die Einwohner an der Selbstverwaltung mit, insbesondere durch Übernahme von Ehrenämtern.

(3) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 87
[Finanzierung, Finanzausgleich]

(1) Der Freistaat sorgt dafür, dass die kommunalen Träger der Selbstverwaltung ihre Aufgaben erfüllen können.

(2) Die Gemeinden und Landkreise haben das Recht, eigene Steuern und andere Abgaben nach Maßgabe der Gesetze zu erheben.

(3) Die Gemeinden und Landkreise werden unter Berücksichtigung der Aufgaben des Freistaates im Rahmen übergemeindlichen Finanzausgleiches an dessen Steuereinnahmen beteiligt.

(4) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 88
[Gebietsänderungen von Selbstverwaltungskörperschaften]

(1) Das Gebiet von Gemeinden und Landkreisen kann aus Gründen des Wohles der Allgemeinheit geändert werden.

(2) Das Gemeindegebiet kann durch Vereinbarung der beteiligten Gemeinden mit staatlicher Genehmigung, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geändert werden. Die Auflösung von Gemeinden gegen deren Willen bedarf eines Gesetzes. Vor einer Gebietsänderung muß die Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Gebiete gehört werden.

(3) Das Gebiet von Landkreisen kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geändert werden. Die Auflösung von Landkreisen bedarf eines Gesetzes.

(4) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 89
[Kommunalaufsicht]

(1) Der Freistaat überwacht die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der Gemeinden, der Landkreise und der anderen Gemeindeverbände.

(2) Durch Gesetz kann bestimmt werden, dass die Übernahme von Schuldverpflichtungen und Gewährschaften sowie die Veräußerung von Vermögen von der Zustimmung der mit der Überwachung betrauten Behörde abhängig gemacht und dass diese Zustimmung unter dem Gesichtspunkt einer geordneten Wirtschaftsführung erteilt oder versagt werden kann.

Artikel 90
[Kommunale Verfassungsbeschwerde]

Die kommunalen Träger der Selbstverwaltung können den Verfassungsgerichtshof mit der Behauptung anrufen, dass ein Gesetz die Bestimmungen des Artikels 82 Absatz 2 oder der Artikel 84 bis 89 verletze.

Artikel 91
[Öffentlicher Dienst, Zugang zum öffentlichen Amt]

(1) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(2) Alle Bürger haben nach ihrer Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt.

Artikel 92
[Amtsausübung, Amtseid der Beamten]

(1) Die Bediensteten des Freistaates und der Träger der Selbstverwaltung sind Diener des ganzen Volkes, nicht einer Partei oder sonstigen Gruppe, und haben ihr Amt und ihre Aufgaben unparteiisch und ohne Ansehen der Person nur nach sachlichen Gesichtspunkten auszuüben.

(2) Jeder Beamte leistet folgenden Amtseid: „Ich schwöre, dass ich mein Amt nach bestem Wissen und Können führen, Verfassung und Recht achten und verteidigen und Gerechtigkeit gegenüber allen üben werde.“ Der Eid kann auch mit der Beteuerung „So wahr mir Gott helfe“ geleistet werden.

8. Abschnitt
Das Finanzwesen

Artikel 93
[Haushaltsplan, Haushaltsgesetz]

(1) Alle Einnahmen und Ausgaben des Freistaates sind in den Haushaltsplan einzustellen; bei Staatsbetrieben und bei Sondervermögen brauchen nur die Zuführungen oder Ablieferungen eingestellt zu werden. Der Haushaltsplan ist in Einnahme und Ausgabe auszugleichen.

(2) Der Haushaltsplan wird für ein Rechnungsjahr oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, durch das Haushaltsgesetz festgestellt. Die Feststellung soll vor Beginn des Rechnungsjahres, bei mehreren Rechnungsjahren vor Beginn des ersten Rechnungsjahres, erfolgen.

(3) In das Haushaltsgesetz dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich auf die Einnahmen und die Ausgaben des Freistaates und auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird. Das Haushaltsgesetz kann vorschreiben, dass die Vorschriften erst mit der Verkündung des nächsten Haushaltsgesetzes oder bei Ermächtigungen nach Artikel 95 zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft treten.

(4) Die Schulden sind in einer Anlage des Haushaltsplanes nachzuweisen.

Artikel 94
[Bedeutung und Wirkung des Haushaltsplanes]

(1) Der Haushaltsplan dient der Feststellung und Deckung des Finanzbedarfes, der zur Erfüllung der Aufgaben des Freistaates im Zeitraum, für den der Haushaltsplan aufgestellt ist, voraussichtlich notwendig ist. Der Haushaltsplan ist die Grundlage für die Haushalts- und Wirtschaftsführung.

(2) Bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes ist den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes sowie den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Rechnung zu tragen.

(3) Der Haushaltsplan ermächtigt die Verwaltung, Ausgaben zu leisten und Verpflichtungen einzugehen.

(4) Durch den Haushaltsplan werden Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben.

Artikel 95
[Kreditaufnahme, Übernahme von Gewährschaften]

Die Aufnahme von Krediten sowie jede Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Jahren führen können, bedürfen einer Ermächtigung durch Gesetz. Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes. Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 96
[Über- und außerplanmäßige Ausgaben]

Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungen bedürfen der Zustimmung des Staatsministers der Finanzen. Sie darf nur im Fall eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Die Genehmigung des Landtages ist nachträglich einzuholen. Näheres kann durch Gesetz bestimmt werden.

Artikel 97
[Ausgabenerhöhungen und Einnahmeminderungen]

(1) Beschlüsse des Landtages, welche die im Haushaltsplan festgesetzten Ausgaben erhöhen oder neue Ausgaben mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Staatsregierung. Das gleiche gilt für Beschlüsse des Landtages, die Einnahmeminderungen mit sich bringen. Die Deckung muß gesichert sein.

(2) Die Staatsregierung kann verlangen, dass der Landtag die Beschlußfassung nach Absatz 1 aussetzt. In diesem Fall hat die Staatsregierung innerhalb von sechs Wochen dem Landtag eine Stellungnahme zuzuleiten.

Artikel 98
[Vorläufige Haushaltsführung]

(1) Ist bis zum Schluß eines Jahres weder der Haushaltsplan für das folgende Jahr festgestellt worden noch ein Nothaushaltsgesetz ergangen, so kann bis zur gesetzlichen Regelung die Staatsregierung diejenigen Ausgaben leisten, die nötig sind, um

  1. gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen,
  2. die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Freistaates zu erfüllen,
  3. Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind.

(2) Soweit die auf besonderem Gesetz beruhenden Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen oder die Betriebsmittelrücklage die in Absatz 1 genannten Ausgaben nicht decken, kann die Staatsregierung den für eine geordnete Haushaltsführung erforderlichen Kredit beschaffen. Dieser darf ein Viertel der Endsumme des letzten Haushaltsplanes nicht übersteigen.

Artikel 99
[Rechnungslegung]

Der Staatsminister der Finanzen hat dem Landtag über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über die Veränderung des Vermögens und der Schulden des Freistaates zur Entlastung der Staatsregierung jährlich Rechnung zu legen.

Artikel 100
[Rechnungsprüfung, Rechnungshof]

(1) Die Rechnung sowie die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes werden durch den Rechnungshof geprüft. Er ist eine unabhängige Staatsbehörde.

(2) Mitglieder sind der Präsident, der Vizepräsident und die Leiter der Prüfungsabteilungen. Sie besitzen die gleiche Unabhängigkeit wie die Richter.

(3) Der Präsident des Rechnungshofes wird vom Landtag auf Vorschlag des Ministerpräsidenten mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gewählt. Der Vizepräsident wird vom Ministerpräsidenten auf Vorschlag des Präsidenten des Rechnungshofes mit Zustimmung des Landtages ernannt.

(4) Der Rechnungshof berichtet jährlich unmittelbar dem Landtag und unterrichtet gleichzeitig die Staatsregierung.

(5) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

9. Abschnitt
Das Bildungswesen

Artikel 101
[Grundsätze der Erziehung und Bildung]

(1) Die Jugend ist zur Ehrfurcht vor allem Lebendigen, zur Nächstenliebe, zum Frieden und zur Erhaltung der Umwelt, zur Heimatliebe, zu sittlichem und politischem Verantwortungsbewußtsein, zu Gerechtigkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zu beruflichem Können, zu sozialem Handeln und zu freiheitlicher demokratischer Haltung zu erziehen.

(2) Das natürliche Recht der Eltern, Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, bildet die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens. Es ist insbesondere bei dem Zugang zu den verschiedenen Schularten zu achten.

Artikel 102
[Schulwesen, Lernmittelfreiheit]

(1) Das Land gewährleistet das Recht auf Schulbildung. Es besteht allgemeine Schulpflicht.

(2) Für die Bildung der Jugend sorgen Schulen in öffentlicher und in freier Trägerschaft.

(3) Das Recht zur Errichtung von Schulen in freier Trägerschaft wird gewährleistet. Nehmen solche Schulen die Aufgaben von Schulen in öffentlicher Trägerschaft wahr, bedürfen sie der Genehmigung des Freistaates. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn sie in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den Schulen in öffentlicher Trägerschaft zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(4) Unterricht und Lernmittel an den Schulen in öffentlicher Trägerschaft sind unentgeltlich. Soweit Schulen in freier Trägerschaft, welche die Aufgaben von Schulen in öffentlicher Trägerschaft wahrnehmen, eine gleichartige Befreiung gewähren, haben sie Anspruch auf finanziellen Ausgleich.

(5) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 103
[Schulaufsicht]

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Freistaates.

(2) Bei den Schulaufsichtsbehörden können ehrenamtlich tätige Beiräte gebildet werden.

(3) Prüfungen, durch die eine öffentlich anerkannte Berechtigung erworben werden soll, müssen vor den hierfür zuständigen Staatsbehörden oder den vom Freistaat hierzu ermächtigten Stellen abgelegt werden.

Artikel 104
[Innerschulische Mitbestimmung]

(1) Eltern und Schüler haben das Recht, durch gewählte Vertreter an der Gestaltung des Lebens und der Arbeit der Schule mitzuwirken.

(2) Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 105
[Ethik- und Religionsunterricht]

(1) Ethikunterricht und Religionsunterricht sind an den Schulen mit Ausnahme der bekenntnisgebundenen und bekenntnisfreien Schulen ordentliche Lehrfächer. Bis zum Eintritt der Religionsmündigkeit entscheiden die Erziehungsberechtigten, in welchem dieser Fächer ihr Kind unterrichtet wird.

(2) Der Religionsunterricht wird unbeschadet des allgemeinen Aufsichtsrechtes des Freistaates nach den Grundsätzen der Kirchen und Religionsgemeinschaften erteilt. Die Lehrer bedürfen zur Erteilung des Religionsunterrichtes der Bevollmächtigung durch die Kirchen und Religionsgemeinschaften. Diese haben das Recht, im Benehmen mit der staatlichen Aufsichtsbehörde die Erteilung des Religionsunterrichtes zu beaufsichtigen.

(3) Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

Artikel 106
[Berufsbildung]

Die Berufsbildung findet in den praktischen Ausbildungsstätten und in den beruflichen Schulen statt. Das Land fördert das Berufsschulwesen.

Artikel 107
[Hochschulfreiheit]

(1) Die Hochschule ist frei in Forschung und Lehre.

(2) Die Hochschule hat unbeschadet der Aufsicht des Freistaates das Recht auf eine ihrem besonderen Charakter entsprechende Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze und ihrer vom Freistaat anerkannten Satzungen. An dieser Selbstverwaltung sind auch die Studierenden zu beteiligen.

(3) Bei der Berufung des Lehrkörpers wirkt die Hochschule durch Ausübung des Vorschlagsrechtes mit.

(4) Hochschulen in freier Trägerschaft sind zulässig. Das Nähere bestimmt ein Gesetz.

Artikel 108
[Erwachsenenbildung]

(1) Die Erwachsenenbildung ist zu fördern.

(2) Einrichtungen der Erwachsenenbildung können außer durch den Freistaat und die Träger der Selbstverwaltung auch durch freie Träger unterhalten werden.

10. Abschnitt
Die Kirchen und Religionsgemeinschaften

Artikel 109
[Bedeutung der Kirchen, Diakonische Arbeit,
Weimarer Kirchenartikel]

(1) Die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt.

(2) Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind vom Staat getrennt. Sie entfalten sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes frei von staatlichen Eingriffen. Die Beziehungen des Landes zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften werden im übrigen durch Vertrag geregelt.

(3) Die diakonische und karitative Arbeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften wird gewährleistet.

(4) Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieser Verfassung.

Artikel 110
[Gemeinnützige Einrichtungen in kirchlicher
oder freier Trägerschaft]

(1) Werden durch die Kirchen und Religionsgemeinschaften im öffentlichen Interesse liegende gemeinnützige Einrichtungen oder Anstalten unterhalten, so besteht Anspruch auf angemessene Kostenerstattung durch das Land nach Maßgabe der Gesetze.

(2) Freie Träger mit vergleichbarer Tätigkeit und gleichwertigen Leistungen haben den gleichen Anspruch.

Artikel 111
[Kirchliche Lehranstalten/Theologische
und religionspädagogische Lehrstühle]

(1) Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind berechtigt, zur Ausbildung von Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern eigene Lehreinrichtungen zu unterhalten. Diese sind staatlichen Lehreinrichtungen gleichgestellt, wenn sie den schul- und hochschulrechtlichen Bestimmungen entsprechen.

(2) Die Lehrstühle an theologischen Fakultäten und die Lehrstühle für Religionspädagogik werden im Benehmen mit der Kirche besetzt. Abweichende Vereinbarungen bleiben unberührt.

Artikel 112
[Staatsleistungen an die Kirchen]

(1) Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Leistungen des Landes an die Kirchen werden gewährleistet.

(2) Die Baudenkmale der Kirchen und Religionsgemeinschaften sind, unbeschadet des Eigentumsrechtes, Kulturgut der Allgemeinheit. Für ihre bauliche Unterhaltung haben die Kirchen und Religionsgemeinschaften daher Anspruch auf angemessene Kostenerstattung durch das Land nach Maßgabe der Gesetze.

11. Abschnitt
Übergangs- und Schlußbestimmungen

Artikel 113
[Notstand, Notparlament]

(1) Ist bei drohender Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Landes oder für die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung sowie bei einem Notstand infolge einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalles der Landtag verhindert, sich alsbald zu versammeln, so nimmt ein aus allen Fraktionen des Landtages gebildeter Ausschuss des Landtages als Notparlament die Rechte des Landtages wahr. Die Verfassung darf durch ein von diesem Ausschuss beschlossenes Gesetz nicht geändert werden. Die Befugnis, dem Ministerpräsidenten das Vertrauen zu entziehen, steht dem Ausschuss nicht zu.

(2) Solange eine Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Landes droht, finden durch das Volk vorzunehmende Wahlen und Abstimmungen nicht statt. Die Feststellung, dass Wahlen und Abstimmungen nicht stattfinden, trifft der Landtag mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder. Ist der Landtag verhindert, sich alsbald zu versammeln, so trifft der in Absatz 1 genannte Ausschuss die Feststellung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder. Die verschobenen Wahlen und Abstimmungen sind innerhalb von sechs Monaten, nachdem der Landtag festgestellt hat, dass die Gefahr beendet ist, durchzuführen. Die Amtsdauer der in Betracht kommenden Personen und Körperschaften verlängert sich bis zum Ablauf des Tages der Neuwahl.

(3) Die Feststellung, dass der Landtag verhindert ist, sich alsbald zu versammeln, trifft der Präsident des Landtages.

(4) Gesetze werden im Fall des Absatzes 1, falls eine rechtzeitige Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt des Freistaates Sachsen nicht möglich ist, auf andere Weise öffentlich bekanntgemacht. Die Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt ist nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen.

(5) Beschlüsse des in Absatz 1 genannten Ausschusses können vom Landtag aufgehoben werden, wenn dies spätestens vier Wochen nach dem nächsten Zusammentritt des Landtages beantragt wird.

Artikel 114
[Widerstandsrecht]

Gegen jede Person, die es unternimmt, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, haben alle Bürger das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Artikel 115
[Begriff des Bürgers]

Bürger im Sinne dieser Verfassung sind die Deutschen nach Artikel 116 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Artikel 116
[Wiedergutmachung]

Wer im Gebiet des heutigen Freistaates Sachsen oder als Bewohner dieses Gebietes durch nationalsozialistische oder kommunistische Gewaltherrschaft wegen seiner politischen, religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung oder wegen seiner Rasse, Abstammung oder Nationalität oder wegen seiner sozialen Stellung oder wegen seiner Behinderung oder wegen seiner gleichgeschlechtlichen Orientierung oder in anderer Weise willkürlich geschädigt wurde, hat nach Maßgabe der Gesetze Anspruch auf Wiedergutmachung.

Artikel 117
[Aufarbeitung der Vergangenheit]

Das Land trägt im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu bei, die Ursachen individuellen und gesellschaftlichen Versagens in der Vergangenheit abzubauen, die Folgen verletzter Menschenwürde zu mindern und die Fähigkeit zu selbstbestimmter und eigenverantwortlicher Lebensgestaltung zu stärken.

Artikel 118
[Abgeordneten- und Ministeranklage]

(1) Erhebt sich der dringende Verdacht, dass ein Mitglied des Landtages oder der Staatsregierung vor seiner Wahl oder Berufung

  1. gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, insbesondere die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 gewährleisteten Menschenrechte oder die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 enthaltenen Grundrechte verletzt hat oder
  2. für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit der DDR tätig war,

und erscheint deshalb die fortdauernde Innehabung von Mandat oder Mitgliedschaft in der Staatsregierung als untragbar, kann der Landtag beim Verfassungsgerichtshof ein Verfahren mit dem Ziel der Aberkennung von Mandat oder Amt beantragen

(2) Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens einem Drittel der Mitglieder des Landtages gestellt werden. Der Beschluss auf Erhebung der Anklage erfordert bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages eine Zweidrittelmehrheit, die jedoch mehr als die Hälfte der Mitglieder betragen muß.

(3) Das Nähere bestimmt ein Gesetz, das auch den Verlust von Versorgungsansprüchen regeln kann.

Artikel 119
[Einstellung und Weiterbeschäftigung im Öffentlichen Dienst]

Für die Einstellung in den öffentlichen Dienst und die Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst gelten die Bestimmungen des Vertrages über die Herstellung der Einheit Deutschlands ( Einigungsvertrag). Die Eignung für den öffentlichen Dienst fehlt jeder Person, die

  1. gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, insbesondere die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 gewährleisteten Menschenrechte oder die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 enthaltenen Grundrechte verletzt hat oder
  2. für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit der DDR tätig war,

und deren Beschäftigung im öffentlichen Dienst deshalb untragbar erscheint.

Artikel 120
[Fortgeltung von Landesrecht]

(1) Das im Gebiet des Freistaates Sachsen als Landesrecht geltende Recht bleibt in Kraft, soweit es dieser Verfassung nicht widerspricht.

(2) Landesrecht und Landesgesetze im Sinne der Artikel 81 Absatz 1 Nr. 2 und 3 sowie Artikel 90 sind auch das Recht und die Gesetze aus der Zeit vor dem Inkrafttreten dieser Verfassung.

Artikel 121
[Sächsische Akademie der Wissenschaften]

Der Freistaat bekennt sich zur Trägerschaft für die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.

Artikel 122
[Annahme, Verkündung, Inkrafttreten]

(1) Diese Verfassung bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages.

(2) Sie wird vom Präsidenten des Landtages ausgefertigt und vom Ministerpräsidenten im Gesetz- und Verordnungsblatt des Freistaates Sachsen verkündet.

(3) Die Verfassung tritt am Tag nach ihrer Verkündung in Kraft. 1

Anhang zu Artikel 109 Absatz 4:

Artikel 136
Weimarer Verfassung

(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.

(2) Der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.

(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

Artikel 137
Weimarer Verfassung

(1) Es besteht keine Staatskirche.

(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.

(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.

(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.

(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.

(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.

(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.

Artikel 138
Weimarer Verfassung

(1) Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.

(2) Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.

Artikel 139
Weimarer Verfassung

Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.

Artikel 141
Weimarer Verfassung

Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.

 

Die vorstehende Verfassung wird hiermit ausgefertigt.

Dresden, den 27. Mai 1992

Erich Iltgen
Präsident des Sächsischen Landtages
als verfassungsgebender Landesversammlung

Die vorstehende Verfassung ist im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden.

Dresden, den 27. Mai 1992

Prof. Dr. Kurt Biedenkopf
Ministerpräsident des Freistaates Sachsen

1
Verkündet am 5. Juni 1992

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Verweis auf Bundesgesetze

    Fundstelle und systematische Gliederungsnummer

    SächsGVBl. 1992 Nr. 20, S. 243
    Fsn-Nr.: 100-1

    Gültigkeitszeitraum

    Fassung gültig ab: 6. Juni 1992

    Fassung gültig bis: 31. Dezember 2013